Sengende Nähe - Singh, N: Sengende Nähe
ehemaliger Pfeilgardist und Auftragskiller konnte. „Was wollen Sie also von mir?“
„Die Antwort auf eine Frage.“ Das Gespenst erklärte, was es mit der freiwilligen Rehabilitation auf sich hatte. „Habe ich das Recht, mich denjenigen in den Weg zu stellen, die ihre Konditionierung stärken wollen? Silentium vollkommen zu zerstören, lag nie in meiner Absicht.“ Seine Ziele reichten tiefer, hatten einen älteren Ursprung. Es wollte das Verdorbene auslöschen, das Kranke beseitigen, das sein Volk zu zerstören drohte … während der Rat keinen Finger rührte und sich mitschuldig an ihrem Tod machte. „Aber das Programm dient dem Rat auch dazu, die Bevölkerung bei der Stange zu halten.“
Judd nahm sich Zeit für seine Antwort. „Es ist ein Unterschied, ob man sich zu etwas aus freien Stücken entscheidet oder weil man Angst vor Veränderung hat. Niemand weiß, was mit dem Medialnet geschieht, wenn Gefühle –“
„Und ob wir das wissen“, sagte das Gespenst. „Vor Silentium war unsere Gattung vom Aussterben bedroht.“ Gewalt und Wahnsinn waren unkontrolliert ausgebrochen und hatten das Medialnet von innen zerstört.
„Ja, genau – vor Silentium. Das Programm hat uns alle und auch das Medialnet verändert. Nur aufgrund meiner Erfahrungen im Konditionierungsprozess bin ich noch am Leben. Wir werden sicher nicht auf den Zustand davor zurückgeworfen werden.“
Das Gespenst erwog diesen neuen Gedanken; Judd hatte recht. Man konnte Vergangenheit und Gegenwart nicht miteinander vergleichen – und niemand kannte die Zukunft. „Die Schwachen werden ohne Silentium nicht überleben.“ Sie würden unter ihren Gaben zusammenbrechen.
„Nein, bestimmt nicht“, stimmte Judd zu. „Lassen Sie ihnen ihren Willen. Wir können nicht für sie entscheiden – alles, was wir tun können, ist, ihnen zu zeigen, dass es vielleicht noch einen anderen Weg geben könnte. Gefühle sind eine starke Kraft.“
Noch lange nach diesem Gespräch blieb das Gespenst an dem abgeschiedenen Ort und dachte über Judds Worte nach. Gefühle … nein, dachte es. Diesen Weg konnte er nicht gehen. Noch nicht. Vielleicht sogar nie.
Denn wenn es, das Gespenst, die Kontrolle über alles verlor, würde das Medialnet zusammenbrechen.
50
Mercy hatte vorgehabt, mit Riley am nächsten Morgen über ihre unhaltbare Situation zu sprechen; sie hatte gehofft, irgendeinen „Ausweg“ zu finden, aber er war schon drei Stunden vor Morgengrauen aufgestanden. „Was ist denn los?“, fragte sie und blinzelte, als er an sein Handy ging.
Seine Krallen schossen heraus. Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Sie setzte sich auf und legte ihm beruhigend die Hand auf den Rücken.
In seinen Augen sah sie den Wolf. „Drei junge Männer des Rudels sind heute Nacht nicht nach Hause gekommen.“
Mercy wusste, wie wild junge Raubtiere manchmal sein konnten, aber das war wohl nicht der Grund gewesen. „Kann es keine harmlose Ursache dafür geben?“
Riley schüttelte den Kopf, stand auf und zog sich an. „Hawke hat versucht, die drei per Handy zu erreichen – sie sind über zwanzig und in der Ausbildung. Ganz egal, was sie vorhatten, sie wären bestimmt drangegangen.“
Mercy zog sich ebenfalls an. „Wir werden alle Soldaten mobilisieren und euch bei der Suche helfen. Wo sind die Jungen zuletzt gesehen worden?“
„In einem Club in der Stadt. Er heißt –“ Sein Kopf fuhr herum, als das Notfallsignal an Mercys Handy schrillte.
Mercy meldete sich. „Was ist los, Vaughn?“
„Du musst in die Stadt kommen. Niki, Cory, Mia und – tut mir leid, Merce – auch Grey sind verschwunden. Sie sind zum Essen ausgegangen und bisher nicht wieder aufgetaucht.“
Grey. Wenn jemand ihrem pfiffigen und fröhlichen Bruder etwas angetan hatte … ihr Magen zog sich vor Angst und Wut zusammen, sie bekam kaum genug Luft, um Vaughn von den Wolfsjugendlichen zu berichten. Er fluchte. „Fahrt sofort los. Indigo ist schon da, sie hatte gerade Nachtschicht – ich werde mit ihr zusammen die Koordination übernehmen, wir werden in Paaren ausrücken, jeweils ein Wolf und ein Leopard.“
Mercy beendete das Gespräch und erzählte Riley, was passiert war. Ihre Stimme brach, als sie Grey erwähnte.
Riley zerdrückte sie fast, als er sie fest in den Arm nahm. „Wir werden sie finden. Dein Bruder wirkt doch ganz so, als könne er gut auf sich und andere aufpassen.“
Sie nickte. „Grey ist ein harter Kerl. Hält alle mit dieser Show des Musikgenies zum Narren, aber
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