Sengendes Zwielicht - Lady Alexia 05
beinahe weiß wirkte, ebenso wie ihre Augenbrauen, was ihr einen Ausdruck ununterbrochenen Staunens verlieh, den manche für Dummheit hielten. Biffy hatte sich bisher noch nicht entschieden, ob das tatsächlich der Fall war.
»Also, was ist seit meinem letzten Besuch hier passiert, Nettie, mein Täubchen?«
»Oh, na, dann lassen Sie’s mich Ihnen mal erzählen, Schätzchen. Der alte Mr Yonlenker – Sie wissen doch, der Stiefelputzer unten an der Straße? –, der hat grad erst letzte Woche versucht, seinen eigenen Kamin zu putzen und ist drin stecken geblieben, zwei ganze Tage lang. Die haben Schweineschmalz gebraucht, um ihn wieder rauszubekommen. Und dann …«
Nettie schwatzte gute zwanzig Minuten lang munter über die verschiedenen Stammgäste, und Biffy ließ die Welle an Klatsch und Tratsch über sich hinwegspülen. Professor Lyall hörte pflichtbewusst zu, und Biffy stellte genug Fragen, um ihren Redefluss in Gang zu halten.
Schließlich stupste er sie sanft auf das richtige Thema: »Wie ich hörte, gab es letzte Nacht ziemliche Aufregung an der Bahnstation.«
Nettie tappte bereitwillig in die Falle. »Oh, na und ob! Schüsse! Der junge Johnny Gawkins aus der Mincing Lane sagt, er hätt gesehen, wie ein Mann in einem privaten Luftschiff davongeflogen ist! Hier in dieser Gegend, können Sie sich das vorstellen? Und dann war da natürlich noch das Feuer, in derselben Nacht. Kann nicht sagen, ob die beiden Sachen miteinander zusammenhängen, aber ich sag auch nicht, dass sie’s nicht tun.«
Biffy blinzelte kurz verwirrt. »Der junge Johnny hat nicht zufällig etwas darüber gesagt, wie der Mann aussah?«
»Wie ’n Gentleman, hat er gesagt, glaub ich. Aber natürlich überhaupt kein Vergleich mit Ihnen, mein Jüngelchen. Die Sache macht Sie aber ganz schön neugierig, was?«
»Ach, du kennst mich doch, Nettie. Eine fürchterliche Klatschtante bin ich. Sag, hat Angie Pennyworth ihr Baby schon bekommen?«
»Von wegen Baby! Zwillinge, sag ich Ihnen! Und sie hat keinen Penny in der Tasche, und ein Vater hat sich auch nie gemeldet. Eine himmelschreiende Schande nenne ich das. Obwohl wir alle mit ziemlicher Sicherheit glauben, dass es Sie wissen schon wer war.« Die Schankkellnerin wies mit ihrem blassen Kopf auf einen dürren Jungen, der in der gegenüberliegenden Ecke lungerte und sich an seinem Bierkrug festhielt.
»Doch nicht Alec Weebs? Niemals!«, sagte Biffy genüsslich schockiert.
»Oh, glauben Sie’s ruhig!«
Biffy gab dem anderen Schankmädchen ein Zeichen, mehr Whiskey zu bringen.
Anerkennend nickte Professor Lyall ihm kaum wahrnehmbar zu. Ein Gentleman in einem privaten Luftschiff war zwar nicht viel, da Luftschiffe in jüngster Zeit gewaltig an Beliebtheit zugenommen hatten, aber es war besser als nichts. Und es gab Aufzeichnungen über die Verkäufe von Luftschiffen. Das verkürzte ihre Liste von Verdächtigen erheblich.
6
Das Parasol-Protektorat schwört ein neues Mitglied ein
L ord Akeldama war von seinem Spaziergang zurück, Prudence lag in ihrem Bettchen, und Tizzy und das Kindermädchen waren für den Augenblick ihrer Pflichten entbunden. Der Vampir hielt in seinem Salon Hof, umgeben von einer kleinen Ansammlung von Drohnen, mit einer Flasche Champagner auf dem Beistelltischchen und der fetten Schildpattkatze auf seinem Schoß. Seit er Vater geworden war, hatte sich Lord Akeldama zu einem ziemlichen Stubenhocker entwickelt, sehr zur Überraschung von ganz London. Das rührte daher, dass sein Zuhause unter Prudence’ Einfluss sogar noch aufregender war als der Trubel der feinen Gesellschaft. Außerdem hatte Lord Akeldama Zeit im Überfluss, da konnte er sich ruhig ein paar Jahrzehnte lang um die Kindererziehung kümmern. Schließlich hatte er sich einer solchen Erfahrung zuvor noch nie hingegeben. Wenn man ein so langlebiger Vampir war wie er, machte man selten neue Erfahrungen und wusste sie dann hoch zu schätzen – wie Gesichtspuder von guter Qualität.
»Alexia, mein liebstes Sahnetörtchen, wie geht es dir? War es eine recht grauenhafte Nacht?«
»Ziemlich grauenhaft, ja. Und wie war Ihr Spaziergang im Park?«
»Wir waren das Gespräch der Stunde!«
»Gewiss waren Sie das.«
Die Drohnen machten einvernehmlich Platz, damit Alexia sich setzen konnte, und während sie dies tat, blieben sie in hübscher Pose stehen. Dann wandten sie sich wieder ihrem eigenen Geplauder zu und überließen ihren Herrn und seine Besucherin sich selbst. Allerdings war sich Alexia der
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