Sengendes Zwielicht - Lady Alexia 05

sich wieder ihren Untersuchungen zu. Der unterste Knopf, der in der Quaste aus schwarzen Federn saß, war ein wenig detaillierter. Alexia zog ihre Gebrauchsanweisung zurate, dann öffnete sie den Schirm und drehte ihn vorsichtig um. Ein Drehen in die eine Richtung, und ein feiner Nebel sprühte aus den Speichenspitzen des Sonnenschirms. Nach dem Geruch und dem Zischen der Flüssigkeit nach, mit dem sie auf das Deck traf, handelte es sich dabei um in Schwefelsäure gelöstes lapis solaris . Ein Drehen in die andere Richtung, und ein Gemisch aus lapis lunearis und Wasser kam heraus, was eine braune Verfärbung auf dem ohnehin schon von kleinen Kratern übersäten Deck verursachte.
    »Uups«, sagte Lady Maccon ohne großes Bedauern.
    »Da, siehst du? Absonderungen! Wirklich, Alexia, gibt es da denn keine würdevollere Herangehensweise?« Ivy trat einen Schritt von ihrer Freundin fort und rümpfte die Nase.
    Schließlich kam Alexia zum allerletzten Punkt auf Monsieur Trouves Liste von Anweisungen.
    Er schrieb: »Ich dachte mir, dass wir den beiden Stacheln, die meine geschätzte Kollegin im ursprünglichen Modell eingebaut hatte, einen zusätzlichen Verwendungszweck geben könnten. Bitte vergewissern Sie sich, dass Sie für diese Funktion gut mit festem Stand gewappnet sind, meine liebe Lady Maccon, und halten Sie den Parasol auf etwas Solides gerichtet. Drehen Sie den Knopf, der dem Schirm am nächsten ist, scharf im Uhrzeigersinn, während Sie den Parasol fest auf Ihr Ziel gerichtet halten.«
    Alexia trat ein wenig zurück, lehnte sich gegen die Reling des Schiffes und richtete den Sonnenschirm auf die Wand auf der anderen Seite des Promenadendecks. Sie reichte Conall die Gebrauchsanweisung, wappnete sich, bedeutete Mrs Tunstell, weit genug aus dem Weg zu gehen, und drehte den Knopf.
    Später sollte Conall ihr berichten, dass die Spitze des Schirms vollständig davonflog, sich im Flug leicht drehte und ein langes Kabel hinter sich herzog. Die Stacheln bohrten sich in die Wand der Kabine und blieben dort stecken. Damals, als Alexia beinahe aus einem Luftschiff und später von dem Stadthaus der Westminster-Vampire gestürzt war, wäre eine solche Vorrichtung recht nützlich gewesen. Gustave Trouve hatte jedoch nicht übertrieben, als er sie anwies, sich mit festem Stand zu wappnen, denn der Sonnenschirm prallte mit einem heftigen Rückstoß gegen sie, was ihre Standfestigkeit ziemlich erschütterte. Erschrocken ließ Alexia ihn los.
    Unglücklicherweise war die Reling ein wenig zu niedrig für eine Frau von Lady Maccons Statur, Leibesumfang und Miederwaren. Sie verlor das Gleichgewicht, kippte wenig anmutig nach hinten über die Reling und stürzte dem Ozean entgegen.
    Alexia schrie vor Schreck und dann vor Schock über die Kälte des Wassers. Prustend kam sie wieder an die Oberfläche.
    Ohne zu zögern, hechtete ihr Gatte hinter ihr her. In Wolfgestalt konnte er besser schwimmen und sie schneller erreichen, deshalb verwandelte er sich noch im Sprung und tauchte als riesige gestromte Bestie anstatt als Mensch ins Wasser.
    Während der Dampfer zügig durch die Wellen davonstampfte, hörte Alexia Ivy schreien: »Frau über Bord! Moment, nein – Mann und Frau über Bord! Moment, nein – Frau und Wolf über Bord! Ach, zum Kuckuck damit – Hilfe! Helfen Sie uns bitte! Haltet das Schiff an! Bemannt die Rettungsboote! Zu Hilfe! Holt die Feuerwehr!«
    Conall schoss wie ein Pfeil durch die eisige schwarze See auf Alexia zu, das Fell wie ein Seehund eng an den Körper geklatscht. Nach nur wenigen Augenblicken hatte er sie erreicht.
    »Also wirklich, Conall, ich kann sehr gut schwimmen. Es besteht kein Grund, dass wir beide ganz salzig werden«, setzte ihn Alexia streng in Kenntnis, obwohl sie bereits bibberte und sehr genau wusste, dass die wahre Gefahr beim Treiben im Meer nicht die war zu ertrinken, sondern zu erfrieren.
    Conall bellte sie an und schwamm näher auf sie zu.
    »Nein, nicht berühren! Dann wirst du auch menschlich, und wir zittern uns beide zu Tode. Sei nicht dumm!«
    Ohne sie zu beachten, kam der Wolf neben sie und zwängte sich unter ihren Arm, eindeutig in der Absicht, ihr dabei zu helfen, an der Oberfläche zu bleiben.
    Er verwandelte sich nicht.
    Nicht einmal ansatzweise.
    Alexia hatte ihre Handschuhe für die Untersuchung des Sonnenschirms ausgezogen und hielt sich instinktiv mit einer nackten Hand an ihm fest. Nichts. Er blieb ein Werwolf.
    »Nun sieh sich das einer an!«
    Conalls Wolfsgesicht sah