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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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herum, blendete die Scheinwefer voll auf, und wir stachen in die Nacht wie Tante Mias Kuchengabel in die Schwarzwälder Kirsche.
    Zwanzigtausend, dachte ich.
    Ein wenig Gischt kam durch die rechten Seitenfenster hereingeweht, als die Tachozahlen dreistellige Werte anzunehmen begannen. Scuzzi rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her und suchte offensichtlich nach etwas.
    »Wie macht man denn hier das Fenster zu?«, fragte er schließlich.
    »Elektrisch«, antwortetet ich, um ihm den Spaß nicht zu verderben.
    »Ah«, machte er zufrieden und presste einen Knopf auf der Mittelkonsole. Aus der Türe auf seiner Seite drang das angestrengte und wenig gesunde Geräusch einer mit Quarzkieseln gefüllten Kaffeemühle. Ansonsten tat sich nichts. Scuzzi seufzte.
    »WACH AUF!«, brüllte mir Hufschmidt ins Ohr, und ich fuhr wie unter einem elektrifizierten Peitschenhieb zusammen, und meine Rechte schlug automatisch und mit dem Willen zur Zerstörung nach dem gebleckten Gelb inmitten des ungesunden, verschwollenen Rots direkt vor meinem Gesicht . Jetzt hat ein Gips sein eigenes Trägheitsmoment und ist deshalb bei raschen Bewegungen nicht besonders hilfreich, und so wich Hufschmidt dann auch mit geradezu provozierender Langsamkeit aus und schnaubte kurz und trocken. »Freu dich, dass du mich nicht getroffen hast«, meinte er knurrend.
    Und ich freute mich. Ehrlich. Ich hätte juchzen, ich hätte weinen können vor Freude, denn die plötzliche und unüberlegte Bewegung alleine hatte gereicht, um mich mehr Sterne sehen zu lassen, als sie eine frostklare Neumondnacht am Himmel über der gesamten Ruhr-City zu bieten hat.
    »Wir haben einen Toten«, sagte Menden, zu niemandem im Besonderen, es war mehr so, als dächte er laut nach.
    »Wir haben einen Alleinverdächtigen, zur Tatzeit am Tatort, ohne auch nur den Versuch eines Beweises des Gegenteils oder die allerkleinste Bemühung, unseren Verdacht in eine andere Richtung als die seine zu lenken, und«, hier wandte er sich an mich, »wir haben ein Motiv: Raub. Mord aus Habgier. Was gibt's dafür? In Ihrem Fall? Mit Ihrer Vorgeschichte? Möchten Sie raten?«
    »Ich meine, ich könnte den Staatsanwalt schon plädieren hören«, mischte sich Hufschmidt zufrieden ein, ». und konfrontiert mit seiner hoffnungslosen finanziellen Situation beschließt der Angeklagte, sich den hilflosen Zustand seines stark angetrunkenen Schlafgastes zunutze zu machen und ihn heimtückisch zu ermor ... «
    »Wieso hoffnungslose finanzielle Situation?«, unterbrach ich. »Ich sollte zwanzigtausend Eier für ihn kriegen.«
    »Auftragsmord«, sagte Hufschmidt. »Noch besser.«
    »»Lebend«, sagte ich.
    »Das sagst du jetzt.« Hufschmidt schüttelte den Kopf. »Nein, wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, ohne ein Geständnis und deshalb mildernde Umstände heißt das lebenslang und somit mindestens fünfzehn Jahre Bau.«
    Rote Ampeln? Scheiß drauf. Vollgas! Doch .
    . sachte. Wir waren in Eile, keine Frage, zwanzig Scheine winkten verlockend wie die dickeren, reifer und süßer aussehenden Brombeeren weiter hinten, wo man nur ganz schlecht drankommt ... und der Verkehr war abendlich/nieselwettrig ausgedünnt, doch trotzdem: Nur ein zur Form eines Papierknäuels zermalmtes Pizza-Taxi auf der Haube, und es könnte morgen früh werden, bis wir unser Ziel erreichten, und nur ein gefangener Blitz und eine geschwenkte Kelle, und es würde anderthalb Stunden dauern, bis man uns unseren Weg fortsetzen ließe, und dann wahrscheinlich nur noch per pedes.
    Mit einiger Mühe verringerte ich den Druck aufs Gas ein wenig. Als das nichts änderte, zwang ich mich dazu, den Fuß ein bisschen zu lüpfen. Die Geschwindigkeit sank auf vergleichsweise unauffällige Hundertzwanzig.
    »Und wo genau am Kassenberg?«, fragte ich.
    Scuzzi sagte es.
    »Hör auf«, entfuhr es mir, ungläubig. Die Adresse, die er mir genannt hatte, war eigentlich keine. Und das schon seit rund dreißig Jahren nicht mehr.
    Scuzzi schlug den Jackenkragen hoch gegen die Zugluft.
    »Kann es sein«, wollte er wissen, »dass das die Reste meiner Seitenscheiben sind, auf denen wir so gemütlich hocken?«
    Eine unglückliche Standortwahl, ein daraus resultierender, zündender Spitzname für das Produkt, und das war's gewesen für die Ibing-Brauerei. An der Ecke Heuweg/Alte Straße kann man heute noch die Reste besichtigen. Und dahin waren wir unterwegs?
    »Bist du sicher?«, fragte ich. »Als ich letztes Mal da vorbeikam, wuchsen Bäume aus dem

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