Sense
drückten uns hinein in die finstere Kulisse. Zwanzigtausend, dachte ich, in der Hoffnung, es werde mich anspornen. Und es half, wenn auch nicht viel.
Drinnen erinnerte nichts mehr an den ehemaligen Betrieb. Nur leere, unbeleuchtete, zugige Räume erstreckten sich in alle denkbaren Richtungen. Es wirkte so verwirrend, so planlos, dass man das Gefühl bekam, die Fabrik sei aus einer winzigen Keimzelle heraus gewachsen, einem Gartenschuppen etwa, und von da aus dann mal hierhin, mal dahin, in die Höhe, in die Breite, immer lustig und immer weiter und wie es gerade kam und passte, bis plötzlich, von heute auf morgen, Schluss war. Zack, aus, Sense.
Das Ibing-Bier war behaftet mit einem Beigeschmack, der sich dem Konsumenten nicht über die Zunge erschloss. Sondern über das Gehirn, die Imagination. Und die wurde befeuert von dem Bild eines Brunnens am Fuße eines Hügels. Eines Hügels, gekrönt vom zweitgrößten Friedhof der Stadt.
Sag das zu jemandem, der bis dahin ahnungslos gewesen ist, und das Bier in seinem Glas wird von einem Augenblick zum nächsten einen - genau - Beigeschmack entwickeln.
Ich stieß mir den Kopf. Dann gleich noch mal. Ich stolperte über etwas Nachgiebiges und trotzdem Schweres, Unbewegliches. Ich blieb mit der Jacke irgendwodran hängen. Ich tappte blind herum und fluchte und fragte mich, wieso ein erfahrener Detektiv wie ich eigentlich eine Aufgabe wie diese ohne Taschenlampe anging. Weil ich sie in der Carina gelassen hatte, im Parkhaus, darum. Darum konnte ich auch nicht sagen, was es war, das vor mir aufschreckte und dann hastig mit dem scharrenden Geräusch von Krallen auf Beton dicht an meinem Hosenbein vorbei die Flucht ergriff. Ein Tier wahrscheinlich. Hoffentlich.
Zögernd, widerwillig, mit wummerndem Puls schlich ich weiter.
>Totenwässerchen< haben sie das Ibing-Bier genannt, irgendwer, irgendwann, doch dann, wie man sich denken kann, nicht mehr allzu lange.
Es war so dunkel, dass ich nur an einem Luftzug spürte, dass ich dabei war, von einem Raum in den nächsten zu wechseln. Ich machte einen Schritt nach vorn, und das dichte, zähe Spinnennetz, in das ich dabei mit dem Kopf geriet, sagte mir, dass hier schon länger niemand mehr langgegangen sein konnte und dies deshalb der falsche Weg sein musste, und noch während ich schritt und gleichzeitig hastig und fahrig an meinem Gesicht herumwischte, schrie irgendetwas in meinem Unterbewusstsein gellend auf. Ich stoppte den Fuß, ruckartig, mitten in der Bewegung, stand einen Sekundenbruchteil einbeinig schwankend und verlagerte dann mein Gewicht sehr langsam und sehr, sehr vorsichtig wieder nach hinten.
»Wo willst du denn hin?«, fragte der unbemerkt an meiner Seite aufgetauchte Scuzzi. Er kann sehen wie eine Katze, er kann schleichen wie eine Katze. Und eines schönen Tages werde ich ihn ertränken wie eine. »Da vorn geht es mindestens zehn Meter senkrecht runter.« Er hob etwas vom Boden auf, warf es, und es dauerte einen Übelkeit erregenden, endlosen Moment, bis es unten mit einem klunkernden Platschen ankam und in die Breite wachsende, silbrige, sich an allerlei in die Höhe ragenden Eisenteilen brechende Ringe die vor meinen Schuhspitzen beginnende Schwärze mit Perspektive erfüllten. »Oder hast du keine Augen im Kopf?«
Manchmal streift mich ein Hauch einer Ahnung, wie es kommen kann, dass ein Mensch einem anderen an die Gurgel geht und zudrückt, bis der andere erst blau wird und dann schlaff.
»Ich hab's gefunden«, sagte Scuzzi, und ein kleiner Teil der Spannung verließ meine zu Klauen gekrümmten Finger.
»Hier lang. Folg mir einfach nach.«
Ein kleiner, flacher, teergedeckter Anbau erhob sich aus dem Wirrwarr aus Bewuchs und Gerümpel, das den Hinterhof füllte. Kein Licht, kein Geräusch drang durch die fest verschlossenen Fensterläden und die ebenfalls verrammelt wirkende Türe. Einziges Zeichen menschlicher Aktivität war die nur durch ihr Hitzeflirren sichtbare Abgasfahne über einer aus einem der Blendläden ragenden Blechröhre.
Scuzzi klopfte dreimal an der Türe. Tock-tock-tock. Fertig. Ich war ein wenig enttäuscht. Ein Morsecode hätte eher meiner Erwartung entsprochen.
»Wie ist das Passwort?«, fragte ich, um nicht zu guter Letzt an dieser Hürde zu scheitern.
»Ich bin's«, antwortete Scuzzi.
Hm, dachte ich.
Hinter der fest verrammelten Türe konnte man schlurfende Schritte heranschlurfen hören.
»Werr da?«, fragte eine tiefe, ruhige Männerstimme mit schwer zu ortendem Akzent. Na
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