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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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haarscharf an einem gewaltigen Überschlag vorbei, in den Heuweg ein, wo wir unsere nichts ahnende Beute einzukreisen gedachten, um sie keine Stunde später gegen ein hübsches Kopfgeld einzutauschen.
    Zwanzigtausend, dachte ich, und das Herzklopfen des Jägers und das frische Adrenalin unseres Beinahe-Überschlags rissen mir mit vereinten Kräften die müden Lider hoch.
    »Langsam jetzt.« Scuzzi blickte konzentriert in die triefende Nacht. Ich bremste den Wagen bis auf Schritttempo herunter. Schaltete die Scheinwerfer auf Standlicht. Wir rollten um die Biegung, und eine verschachtelte, unübersichtliche Fabrikruine wuchs vor uns aus dem Dunkel. Schwarze, leere Fensterhöhlen blickten ins Nichts, schwarze, wohl zur Entfernung größerer Maschinen oder Kessel brutal ins Mauerwerk gebrochene, leere Torhöhlen gähnten zahnlückig, aus dem zusammengesunkenen Dach ragte morsches Gebälk wie schwarz verkohlte Finger. Alles wirkte vollkommen verlassen. Kein Licht, kein Rauch, keine Bewegung, kein einziges geparktes Auto weit und breit. Ich stoppte am schmiedeeisernen Tor. Eine rostige Kette hielt die Flügel zusammen, verbunden mit einem Vorhängeschloss, zu dem schon seit Jahrzehnten keiner mehr einen Schlüssel besaß.
    Ich sagte: »Du hast dich verarschen lassen. Hier ist kein Mensch.«
    »Der Anbau ist irgendwo hintenraus.«
    »Irgendwo hintenraus«, murrte ich. Der Regen fiel jetzt senkrecht und gleichmäßig, von der Quantität her maßvoll, damit er noch Stunden so weitermachen konnte, bevor ihm das Wasser auszugehen drohte.
    »Und wenn überhaupt, was soll hier abgehen?« Schwarze Messen war, was mir als erste Antwort auf die eigene Frage durch den Kopf ging. Satanskult. Tier- und Menschenopfer.
    »Glücksspiel« sagte Scuzzi und machte Anstalten auszusteigen.
    »Und die Zocker kommen mit der Straßenbahn? Oder mit 'm Skateboard? Was spielen die? Mau-Mau? Autoquartett?«
    »Ich nehme an, sie haben unten am Tennisverein geparkt. Kristof, dies hier ist organisiertes Verbrechen. Die organisieren so was. Los, komm jetzt.«
    Und wir stiegen hinaus in die unterkühlte, zielgenau in den Spalt zwischen Hals und Kragen fallende Feuchtigkeit. Doch ich war noch nicht fertig.
    »Und seit wann organisieren die das dann nicht mehr in irgendeinem anonymen Hochhaus? Mieten ein Apartment, erklären die Sache zur Privatparty und ab dafür? Anstelle eines >irgendwo hintenraus< gelegenen Anbaus an eine kurz vor dem Kollaps stehenden Ruine?«
    »Das machen sie auch noch, natürlich. Dauernd und überall.« Scuzzi duckte sich unter einem auf Halshöhe gespannten Stück NATO-Draht hindurch, den ich glatt übersehen hätte. Er hat die Augen einer Katze. »Doch manchen Zockern ist das nicht romantisch genug. Und so musst du den Leuten halt was bieten für ihr Geld.« Unmerklich wurden seine Worte leiser und leiser. Wir waren jetzt auf dem Grundstück und mühten uns einen glitschigen Hang hoch. Über uns ragte die alte Fabrik in den schwarzgrauen Himmel wie ein Kongresszentrum für Zombies und andere Untote.
    »Romantisch mein Arsch!«, fluchte ich, wenn auch verhalten, und griff nach einem Ast, um nicht auf dem letzten Meter noch auf die Schnauze zu fallen und bäuchlings den Rückweg anzutreten.
    »Leise!« Wir standen an einer der zahlreichen Rückseiten des in alle Richtungen wuchernden Gemäuers und hatten die absolut freie Wahl, was Eingänge anging. Wir konnten uns durch fensterlose Fensteröffnungen zwängen, durch türlose Türlöcher schreiten oder über den Schuttberg einer umgestürzten Mauer krabbeln.
    »Und nun? Ich seh und hör immer noch nichts.« Echt wahr. Trotz der vielen Lücken in der Dachkonstruktion war das Innere des Gebäudes nichts als undurchdringliches Dunkel für mich, und der Regen umgab uns mit einem Vorhang aus Stille.
    »Tja, von hier ab wird Paschas Beschreibung, fürchte ich, ein wenig vage .«
    Ich spürte einen intensiven Hass aufsteigen, auf alle, alle zusammen, die mich mit ihren vereinten Anstrengungen bis hierhin gebracht hatten. Es war kalt. Es war nass. Es war duster, und es war ungemütlich und . na, ja. Ungemütlich eben. Meine Euphorie war weg, und die nagende, immer vorhandene Skepsis hatte nur zu gern ihren Platz eingenommen.
    »Ein wenig vage«, echote ich, ätzend.
    »Wir werden ein bisschen suchen müssen.« Nur mit Mühe hielt ich den Drang im Zaum, zwei, drei Worte von allem, was Scuzzi sagte, zu wiederholen, mit ins Hämische abgewandelter Betonung.
    Wortlos trennten wir uns und

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