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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Kopfschütteln kundtat, die falsche. »Nein, ich selbst komme kaum noch dazu«, fuhr er fort, »Sie wissen ja, der Stress, die Termine, das Alter und« - >Aaaaaahhh jaaaaaaaaa, ich kommmmäääää!!!!!<, bölkte es aus den Lautsprechern - »wie Sie selber hören, macht Kristof das ja so viel besser, als ich es selber je könnte.« Und er gackerte ein bisschen.
    Schließlich fiel mir der richtige kleine schwarze Kasten in die Finger, und der knorpelige Anus und schaukelnde Hodensack des Hauptdarstellers wichen auf Knopfdruck einem mit weißen Linien versehenen, rötlichen Geviert. Und es wurde übergangslos weitergestöhnt, nur diesmal in kurzen, weißen Röckchen. Tennis. Mein Schwanz sackte wieder zusammen wie ein Wagenheber, wenn man den Knauf nach links dreht. Tennis kommt bei mir direkt hinter Angeln. Während Scuzzi noch etwas telefonierte, betrachtete ich mit der Faszination des Abscheus die beiden kurzgeratenen, übergewichtigen Gören, die unter Grunzen einen gelben Filzball über ein Netz hin- und herschlugen, mit dieser nun wirklich minimalistischen Show für Stunden im Fernsehen auftraten und obendrein noch eine obszöne Kohle kassierten dafür. Wie, das ist der wachsende Eindruck, alle Ballsportler. Was mich daran wirklich schwindelig macht, ist, dass die Leute so tun, als wäre das völlig normal.
    »Kristof!«, sagte Scuzzi und legte den Hörer auf. »Schön, dich zu sehen. Gut siehst du aus. Nein, wirklich. Wie etwas, das der Hund im Wald gefunden, runtergeschlungen und dann daheim aufs Kanapee gewürgt hat.«
    Ich kann das nie kontern. Es sind nicht so sehr seine Unverschämtheiten, die mich ärgern, es ist mein eigenes Unvermögen, darauf etwas Passendes zu erwidern, das mir die Galle köcheln macht. Dabei bin ich durchaus schlagfertig. Nur eben erst zwanzig Minuten später.
    »Also wie immer«, schnurrte er. Sein Haar glänzte wie der Lack eines schwarzen Porsche, seine Haut schimmerte in einem Olivton, auf den Frauen angeblich noch wilder sind als auf goldene Kreditkarten, und so hasserfüllt ich ihn auch anstarrte, ich fand nichts, an dem ich eine Entgegnung aus der Hüfte hätte festmachen können. All die Jahre exzessiven Lebenswandels schienen seine Fassade nur mit Tau benetzt zu haben, während bei mir, so wollte es mir an manchen Morgen erscheinen, batteriesaurer Regen die Zinnen bröckeln ließ.
    »Bis auf die Hose«, fügte er nach einem Augenblick hinzu. Ich hatte schon drauf gewartet. »Letztes Mal, als ich dich damit gesehen habe, meine ich, hättest du noch Blumen im Haar getragen.« (Eine glatte Lüge, das.) »Scheint etwas eingelaufen zu sein, seitdem.« (Hab ich nie.) »Zu heiß gewaschen?« (Gut, immer und überall meine Wanderklampfe mit mir rumgeschleppt, das ja. Paillettenweste, Indianerstirnband, Sandelholzkette, geflochtene Armreifen, Silberschlange um den Bizeps, gut. Aber Blumen im Haar?Eine Erfindung.) »Könntest du dich ein bisschen« - Scuzzi verkniff das Gesicht auf die gleiche Art wie jemand, der dabei ist, eine Sektflasche zu entkorken -, »nur ein klein wenig ... von mir wegdrehen? Dieser Knopf da, oberhalb des Reißverschlusses, der sieht mich an, als ob er mir jeden Moment ein Auge ausknipsen wollte.«
    Hinter meinem Rücken erging sich Heribert Fassbender in der wortreichen Glorifizierung eines gewesenen Ballwechsels. Gequält sah ich zu Scuzzi. Mit einem Achselzucken zog er eine weitere Fernbedienung aus einer Schublade und machte dem eitlen, hohlen, sinnlosen Gewäsch und den monotonen Leibesübungen ein Ende.
    Ich atmete ein bisschen auf. Trotz aller Geräusche, die eine Wohnung in einem fünfgeschossigen Mietshaus an einer vierspurigen Straße in einer Stadt am Rande eines sechs Millionen Einwohner zählenden Ballungsgebietes abends um diese >Hauptsendezeit< genannte Stunde erfüllen, wirkte die plötzliche Stille vollkommen.
    »Was treibt dich her?«, fragte Scuzzi durch eine dichte Wolke Rauchs hindurch und bot mir den Joint an.
    Ich schüttelte leicht den Kopf und schob in Gedanken Summen hin und her. Ich würde ihn beteiligen müssen, jedoch keineswegs zur Hälfte. Und schon gar nicht zur Hälfte des wahren Betrags. Also musste ich vorsichtig sein mit dem, was ich sagte.
    Ich sagte: »Ich könnte unter Umständen deine Hilfe gebrauchen.«
    »Aha«, machte er und hielt mir die Calvadosflasche hin.
    Ich winkte ab, drehte mich, ging einen Schritt nach vorn, drehte mich noch mal, machte einen Schritt zurück und fuhr fort: »Ich habe den Auftrag, einen Mann zu

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