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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Dach.«
    »Irgendwo seitlich soll noch ein halbwegs intakter Anbau sein. Ich hab 'ne Wegbeschreibung.« Unruhig versuchte er, der beständig hereinpfeifenden Gischt zu entgehen, unruhig bemühte er sich, irgendwo Platz für seine Füße zu finden.
    »Himmelarsch«, fluchte er, »was für eine rollende Müllkippe!« Und er begann, alles, was ihn störte, aus dem Fenster zu werfen.
    »Könntest du das lassen?«, bat ich. Aus irgendeinem Grund hasse ich es, wenn einer meinen Kram aufräumt. Und sei es mein Müll.
    »Krüschel, mein Junge«, kam es geduldig vom Beifahrersitz, und die nächste Hähnchentüte wurde Beute des Fahrtwinds, dicht gefolgt vom nächsten Pommesschälchen, »du«, machte es pointiert, »thronst, soweit ich es von hier aus beurteilen kann, inmitten trockener Hülsen. Totes, relativ keimfreies Material. Dagegen ist bei mir hier drüben«, knurrte er, wog eine McDo-nald's-Styroporverpackung in der Hand, warf sie raus, probierte die nächste, »bei mir hier drüben ist stellenweise«, er linste hinein, »noch richtig Leben drin.« Und er riss die Packung ganz auf und hielt sie mir direkt vors Gesicht.
    Ein nach nur einem Bissen aufgegebener Big Mäc war tatsächlich, allen lebensmittelchemischen Bemühungen zum Trotz, zu neuem, tja, Leben erwacht. Jede Menge Fauna tummelte sich wimmelnd in seiner Mitte, und obendrauf hatte er es zu einem schönen, dichten, in Grüntönen schillernden Besatz von Flora gebracht. Der aufsteigende Smell hätte einem Geier den Atem verschlagen.
    Nein danke, abbeißen wollte ich nicht, also schüttelte ich nur den Kopf, sagte nichts weiter und konzentrierte mich wieder aufs Fahren.
    Zwanzig Mille, dachte ich und schraubte den Schnitt doch wieder ein bisschen in die Höhe, zwanzig Mille für den Kopf von Sascha Sentz. Schnelles Geld. Die beste Sorte. Nur was, fragte ich mich, machte der Typ ausgerechnet in der ältesten und finstersten Fabrikruine der Stadt? Und noch etwas beschäftigte mich. Hatten wir den Erfolg wirklich schon fast in der Hand? So ganz mochte ich es nicht glauben. Meiner Erfahrung nach macht er es einem nicht so leicht. Doch bald schon würden wir es wissen. Bald!
    Das Pedal hatte seinen Weg zurück zum Wagenboden gefunden, und wir huschten gerade über die Stadtgrenze, als uns ein unerwartet heftiger Schauer überraschte. Der Wischer auf meiner Seite hätte, vom Ergebnis her, genauso gut eine Klobürste sein können, so dass ich mich auf die rechte Seite rüberlehnen musste, um nicht vom Gas zu müssen. Scuzzi flüchtete aus der hereinwehenden Brandung und kraxelte auf den Sitz hinter meinem.
    »Nein«, hörte ich ihn sagen, als er seine Füße auszustrecken versuchte und auf klimpernden Widerstand stieß, »nein, ich glaub das einfach nicht!« Und die erste Flasche verließ das Auto auf dem direktesten aller Wege.
    Ich wollte etwas einwenden - mit unserem Reisetempo durch die Lüfte segelnde Flaschen sind hart, und parkende Autos sind teuer -, doch wenn Scuzzi in einer seiner Stimmungen ist, wird er taub für gutes Zureden, und außerdem hatte er die Wegbeschreibung und kannte das Passwort, also versuchte ich ihn durch Konversation von seinem Tun und mich von den uns begleitenden, berstenden Geräuschen abzulenken.
    »Was«, fragte ich, »hat dieser Sascha Sentz eigentlich von dir gewollt?«
    Scuzzi unterbrach einen Wurf im Rückschwung, beugte sich zu mir nach vorn, besah mich aufmerksam, als wolle er sich überzeugen, dass es wirklich ich war und nicht ein schlau verkleideter Doppelgänger.
    »Würde es dich freuen, wenn ich dich dreimal raten ließe?«, fragte er, milde wie zu einem behinderten Kind. Dann ließ er sich wieder zurücksinken, und die Flasche flog.
    Recht hatte er. Was konnte irgendjemand schon von meinem Freund Pierfrancesco Scuzzi wollen, das nicht in direktem Zusammenhang mit rauscherzeugenden Substanzen unterschiedlicher Herkunft, Wirkung und staatlicher Ächtung stand?
    Der Regen glitzerte schwach im trüben Licht der matten Scheinwerfer, prasselte gegen Karosse und Frontscheibe, die Reifen zischten über den vor Wasser schwimmenden Asphalt, die Wischer rutschten auf höchster Stufe hin und her und schienen damit den Takt vorzugeben für das Zucken, mit dem der unnatürlich, wie angeschossen neben dem Lenkrad hängende Fahrer auf jedes Scheppern einer Büchse und jedes Klirren einer Flasche reagierte.
    So - zischende Reifen, zuckender Fahrer, klirrendes Glas und schepperndes Aluminium - bogen wir in einem wilden Vierraddrift,

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