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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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zu sehen. Es wollte nicht recht gelingen.
    Scuzzi sollte heute mein Fährtenleser sein, mein Treiber, mein Spürhund. Er kannte die Tarnungen, die Verstecke, die verschlungenen Pfade und die Wasserlöcher des speziellen Wildes, aus dessen Mitte ich meine hoch dotierte Trophäe zu holen hoffte. Er hatte es angefüttert und sein Vertrauen gewonnen. Er war der eigentliche Grund gewesen für meinen anfänglichen, ungewohnten Optimismus.
    Der Türdrücker summte, und ich trat in den Hausflur. Wenn sie da wenigstens einen Aufzug hätten! Zum Ignorieren, natürlich. Ohne zumindest die Möglichkeit, Aufzug zu fahren, verliert die Treppenkraxelei alles Heroische.
    Zu sagen, ich sei außer Atem gewesen, als ich mit letzter Kraft einen tonnenschweren Fuß über eine meterhohe letzte Stufe wuchtete, hieße, die Sachlage in gefährlicher Weise zu verniedlichen. Ich war nicht außer, ich war ohne Atem. Mein Puls hatte seinen Drehzahlbegrenzer schon lange losvibriert und ausgespuckt, und mein Hirnstrom war der eines klinisch Toten. Um wenigstens zu sehen, was ich nicht mehr spürte, steckte ich mir eine an. Inhalierte, wartete ein banges Sekündchen, dann die Erleichterung: Es kam Rauch heraus, das hieß, ich lebte, es war alles in Ordnung.
    Scuzzis feuer-, einbruchs- und erstürmungshemmende Stahltüre war nur angelehnt, also schleppte ich mich zu ihr rüber, drückte sie mit der Schulter auf und mit dem Arsch wieder zu, und Musik schlug über mir zusammen wie klatschende Hände über einer Fliege. Was heißt Musik - ein unüberbietbar nichts
    sagender, auf der Tonleiter achterbahnfahrender Singsang, unterlegt mit einem an Jazz gemahnenden, atonalen elektronischen Klangbrei. Wie hieß diese hemmungslos in sich selbst verliebte Sängerin noch? Irgendetwas in mir sträubt sich, ihren Namen zu behalten, doch ich habe eine Eselsbrücke: Der Vorname klingt, wie wenn sich ein Frosch erbricht - also etwas, das man sich denken muss als ein Mittelding zwischen einem feuchtglatten Bjulk und einem eher kehligen Glörk - >Glulk    Gegen die schrillen Schallwellen und den unwiderstehlichen Drang ankämpfend, mir die Zeigefinger bis zum zweiten Glied in die Ohren zu stopfen, arbeitete ich mich bis zur Anlage vor und presste den >Power< -Knopf, so fest ich nur konnte. Aaaah.
    »Nein«, schrie Scuzzi, der, in einen seidenen Morgenmantel gewandet, gemütlich zurückgelehnt in seinem Schreibtischdrehsessel hing, in den Hörer an seinem Ohr, »ich kann Sie unmöglich verstehen, es ist viel zu laut hi ... aah, jetzt ist es besser«, fuhr er in normalen Tonfall fort.
    Das allerunglaublichste Stöhnen füllte jetzt den Raum, und eine weibliche Stimme dröhnte: »O jaa, gibs mir, jaaa, ramm ihn mir rein, o Goott, das ist so geieil, hmmm, uuuhhh, oooooaooaa-aahhrhh, nimm mich, fiiiick mich, jajajaja .«
    Ich fuhr herum und bemerkte erst jetzt, dass der Fernseher lief, und zwar auf voller Hupe. Eine typische, gut situierte Geschäftsfrau mit wie gewöhnlich nichts als Strapsen unter ihrem Pelzmantel ließ sich gerade von einem in den Chauffeurberuf gewechselten Zuhälter auf der Haube eines Mercedes durchnudeln, der aussah, als habe er es nur mit Mühe aus eigener Kraft bis vor die gefährlich an Fototapete erinnernde Kulisse geschafft. Geschickt geschnittene, perfekt ausgeleuchtete und liebevoll ins Detail gehende Großaufnahmen riefen Gefühle in mir wach, wie es sonst nur Scuzzis Plattensammlung vermochte, und ließen mich, zusammen mit der gekonnt getexteten Tonspur, hastig nach der Fernbedienung suchen.
    »Was?« Scuzzi telefonierte ungerührt weiter, eine offene Flasche Calvados zwischen den Knien balancierend, eine Tüte Gras zwischen den Lippen haltend und mit der freien Hand vor sich auf der Schreibtischplatte eine Line Koks zurechtschiebend.
    Schwache Reize, dachte ich. Für schwache Reize, dachte ich, für schwache Reize, will es mir manchmal scheinen, ist mein Freund Pierfrancesco ein für alle Mal verloren.
    »Das?«, fragte er den Teilnehmer am anderen Ende, »was Sie da hören? Och, das ist nur mein Freund Kristof Kryszinski, der es gerade meiner Lebensgefährtin besorgt.«
    Auf dem Bildschirm war es zu einem Stellungswechsel gekommen, ohne dass es den Handlungsablauf grundsätzlich verändert hätte. Auch das wilde Stöhnen und die rauen Lockrufe gingen unvermindert weiter. Gegen meinen erklärten Willen wuchs mir eine Latte.
    Ich fand eine Fernbedienung, doch wie mir Scuzzi mit einem

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