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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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er pfiff beeindruckt durch die Zähne. Mordverdacht, das hat nicht, das ist Street Cred. Vielleicht sollte ich es mal als Rapper versuchen, dachte ich, sobald ich hier raus bin.
    »Deshalb«, sagte ich mit Nachdruck, »ist es enorm wichtig, dass du Veronika für mich auftreibst und sie sofort herschickst. Um diesen ganzen Bockmist aufzuklären, muss ich, so schnell es nur irgend geht, hier raus.« Es wird astrein bezahlt, und man braucht nicht viel mehr zu können, als mit schlaff in den Gelenken hängenden Händen so auf Schulterhöhe vor sich herumzufuchteln und möglichst oft >Paaahdy all night long< zwischen die ganzen >Aha-ahas< zu packen. Dazu noch richtig was auf dem Kerbholz, ein paar Anklagen wegen diverser Kapitalverbrechen, und die Kids werden dich verehren wie einen Heiligen.
    Charly ließ ein für ihn ungewöhnliches, nachdenkliches kleines Schweigen entstehen und äußerte dann die Ansicht, dies sei unter Umständen gar keine so gute Idee.
    »Waas?«, fragte ich, in dem sicheren Gefühl, in der Gewissheit, mich verhört zu haben.
    »Was?«, fragte ich noch mal, nur um sicherzugehen.
    »Ja«, bekam ich als Antwort. »Kristof, ich kann jetzt nicht ins Detail gehen, nicht mit Ohren in der Leitung, doch nach allem, was dich hier draußen erwartet, wärest du wahrscheinlich gut beraten, noch etwas drinzubleiben. Noch eine ganze Weile, um ehrlich zu sein. Paar Wochen, mindestens.«
    Ich saß da und brauchte ein bisschen, um zu merken, dass mir das Maul offen stand.
    »Ich schick dir Veronika vorbei. Sie kann dir das dann erklären.«
    Und ehe ich so recht meine Sprache wiedergefunden hatte, hängten wir nacheinander ein.
    »Schlechte Nachrichten?«, fragte Hufschmidt mit geheucheltem Mitgefühl.
    Ich sah zu ihm auf und sagte: »Wenn ich recht verstanden habe, rät man mir, mich in Schutzhaft nehmen zu lassen.«
    »Für wie lange?«, fragte er mit geheucheltem Interesse. »Reichen fünfzehn Jahre?«
    Und wie der Abend begonnen hatte, ging es auch mit fortschreitender Nacht heiter weiter. Wir jagten durch die Gegend und suchten und fanden Adressen, wie das mit Zeitungen vor den Fenstern blickdicht gemachte Import/Export-Büro in Gelsenkirchen, die Pleite gegangene Bottroper Vorort-Bäckerei, wo in der noch mehlbestäubten Backstube rings um eine auf den ehemali
    gen Rührbottich gelegte Platte gezockt wurde, das höchstens zur Hälfte belegte Apartmenthochhaus inmitten einer Trabantenstadt im Norden von Wanne. Und überall wurde Scuzzi freundlich begrüßt und reicher an Scheinchen, während ich - wenn überhaupt eingelassen und nicht schon an der Türe rüde aussortiert - misstrauisch angemuffelt, mit viel Brimborium von den Spielenden fern gehalten und allenfalls reicher wurde an ausweichenden Antworten und ungelenkt hingekritzelten Adressen auf Resten von Tapete, Serviette oder Zigarettenpak-kung.
    Sascha Sentz verwandelte sich mehr und mehr in den mythischen Spieler. Ja, er war da gewesen, hieß es ab und zu mal, doch nur für kurze Zeit, und wann genau und wo er von da aus hingewollt hatte, wusste niemand zu sagen. Er geisterte vor uns her wie eine Erscheinung am Wüstenhorizont, von der man nicht sicher sein kann, ob sie sich da befindet, wo man sie sieht, oder vielleicht ganz woanders und einem von dort aus nur mittels heißer Luft vorgefatamorganat wird. Ja. Was immer ich in Erfahrung brachte, es war nicht mehr als flirrende, heiße Luft. Und meine Hoffnung sank, Arm in Arm mit meiner Laune, unter den Horizont.
    Aus Nachmittag wurde Abend, und allmählich, spürte ich, gingen ihnen die Ideen aus.
    Schließlich, nicht zuletzt, weil Veronika immer noch auf sich warten ließ, taten sie, was ich insgeheim am meisten gefürchtet hatte: Sie brachten mich in den Keller und sperrten mich in eine Zelle. Allein in so ein enges, kleines, durchgehend grau gestrichenes Ding, in dem noch die Verzweiflung zu hängen schien aus den Tagen, als der Ziegelbau an der Von-Bock-Straße der Gestapo als Hauptquartier unterstand. Und sie in Mendens geliebtem Innenhof die Erschießungen durchgeführt haben.
    Die massive, eisenbeschlagene Holztüre ging zu, und meine Poren öffneten sich. Ich versuchte, mich abzulenken, doch Charlys ungeklärte, mysteriöse Andeutungen und mein Nudelsieb von einem Gedächtnis trugen nicht unbedingt zur Klärung meiner Gedanken bei, und so hockte ich einfach da, auf meiner Pritsche, starrte die verdammte Türe an, schwitzte und war müde und verwirrt und mehr als nur ein bisschen in Sorge.
    Schwer

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