Sense
Abend umtrieb, seit ich das erste Mal in die unsichtbare Sperrzone rings um einen Kartentisch eingedrungen war und der von da ab jedes Mal stärker geworden war, unwiderstehlicher, bis er sich mit so viel Wucht voll gesogen hatte, dass niemand ihn mehr stoppen konnte, also ließ ich ihn von der Kette, den manischen Drang, der mir, alles andere übertönend, verdrängend, nichtig machend ins Ohr brüllte: »Nun tritt ihn schon um, den verdammten Scheißtisch!!!«
Tausend Arten, tausend Orte, um wach zu werden, doch sich nach einem Knockout auf der Straße wiederzufinden ist unvergleichlich.
Erst mal kein Schmerz. Nur Geduld, allerdings, der kommt gleich. Ist schon unterwegs.
Erst mal nur Verwirrung. Orientierungslosigkeit. Simpelste Wahrnehmungen: Kälte. Nässe. Nacht.
Eine Frage formt sich: Wo ... bin ... ich?
Antwort: draußen. Im milden und doch so kühlen Regen. Liegend, in gekrümmter Haltung, auf dem Gehweg, einen Autoreifen direkt vor der Nase. Aha.
Was - Nächste Frage, schon um einiges schneller: Was ist passiert? Was um alles in der - Jetzt! Jetzt lass den Schmerz sich in das Bewusstsein fressen! Wow! Nagend, mahlend, reißend, unerwartet und überwältigend, die wahre Mutter des Begriffes Sensation!
Die Rückmeldungen kamen mehr oder weniger von überall, hübsch gleichmäßig verteilt und mehr als ausreichend portioniert und doch mit einem überdeutlichen, den Rest klar, hell, ja gleißend überstrahlenden Zentrum, rechts unten an meinem Arm Ich brachte nicht den Mut auf hinzusehen.
»Na, wieder bei?«, tönte es von oben, von da, wo die Gläubigen den Sitz dieses höheren Wesens vermuten, das alles, dessen wir uns erfreuen, geschaffen hat. Die Giftgasfabriken und die Folterkeller und die Kinderpuffs und die Hungerlager und uns, die wir den Laden schmeißen, nach Seinem Ebenbild. Aber sicher.
»Dann können wir ja weiter.« Worte, verpackt in aromatischen Rauch. Und obwohl mir in diesem leicht deliriösen Moment kein vernünftiger Grund einfallen wollte, warum es nicht Gott der Herr sein sollte, der knisterndes Gras rauchend und behalb-schuhte Füße baumelnd auf der Haube meines Toyotas hockte, war ich trotzdem nicht wirklich erstaunt und im Grunde erleichtert, als ich nach einer in extremer Zeitlupe ausgeführten, aufwärts gerichteten Drehbewegung meines Kopfes nur meinen treuen Weggefährten erblickte, meinen indianischen Blutsbruder, meinen Sancho, meinen Watson, meinen Festus Haggan, meinen Harry Klein. Er blinzelte mir zu, wenn auch nicht unbedingt aus freien Stücken: Sein linkes Auge war so gut wie zugeschwollen und würde schon morgen in allen Farben schillern.
»Gott, hatten wir einen Spaß, was?«, fragte er. »Haben wir gelacht!«
Ich war noch nicht wieder in der Verfassung für sarkastische Dialoge. Mir dämmerte, dass ich nicht für immer hier auf der Straße herumliegen konnte und auch dass der Zeitpunkt nahte, an dem ich meine Rechte in Augenschein nehmen und Entscheidungen über ihre weitere Behandlung treffen musste. Ich atmete tiiiief durch und ... sah hin.
Stell dir vor, du hast einen Hund, nein, ein Hündchen, so ein putziges kleines Ding mit einem Schleifchen auf dem Köpfchen, das Männchen macht für ein Leckerchen und wiff! statt WAU!, und du führst es Gassi und denkst an nichts Böses und ein Sattelschlepper rumpelt vorbei oder eine Straßenwalze und ein Ruck geht durch die Leine und sie will nicht weiter, nein, sie klebt fest auf dem Asphalt, und das, woran sie klebt, ist völlig platt mit einer platten, kleinen Schleife obendrauf .
So, in diesem Geiste, besah ich mir das blutige, geschwollene Bündel am unteren Ende meines rechten Arms.
Keine Stunde später, genauso unbegründet, wie sie mich weggeschlossen hatten, kamen sie mich wieder holen. Ich hätte mich gefreut, doch waren meine Pillen alle, und der Schmerz in meiner Hand fing an, sich mit dem Klopfen in meinem Schädel zu einer marternden Allianz zu verbinden, die drohte, die rechte Hälfte meines Oberkörpers und die komplette Funktion meines Oberstübchens mit Lähmung zu überziehen.
Menden nervte mich mit Schweigen, Hufschmidt mit Labern.
»Du weißt, dass wir dich alleine hierfür einbuchten können?«, fragte er grimmig und wedelte mit einem Plastikbeutelchen vor meiner Nase herum. Sie hatten zu allem Überfluss auch noch einen Hund durch meine Bude gescheucht und ein radiergummigroßes Stück Dope gefunden, von dessen Existenz ich noch nicht mal was geahnt hatte. Irgendwann aus der Tasche
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