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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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nicht entspannen, auch nicht wartend auf und ab gehen und flach atmen und schon gar nicht an was Nettes denken! Ich wollte mit, mit rein, und sehen, was passiert.
    Ich war wach, hellwach, und stark, ah, so stark, und dieser wieselige Halbitaliener würde mich nicht hindern, keiner würde mich hindern. Sollte unser blöder Zocker da drin sein, ich würde ihn am Kragen packen, rauszerren, in den Kofferraum verfrachten, bei seiner Alten abliefern und nicht eher das Haus verlassen, bis sie mir die Zwanzigtausend bar auf die Kralle gezählt hatte.
    Eigentlich kaum nachzuvollziehen, wie ich an dem berufsmäßigen Grobian von Türsteher vorbeikam. Vielleicht war er ganz einfach blind, blinder als Ray Charles und Stevie Wonder zusammen, vielleicht hielt er es aber auch nur für normal, dass der Hausdealer in Begleitung auftrat und dass der Begleiter einen rot geäderten Tausend-Meilen-Blick in Verbindung mit dem mimischen Reichtum eines Katatonikers zur Schau stellte. Wie dem auch sei, er klopfte uns nur auf Waffen ab, und nach ein paar leichten, wie in Stahl federnden Schritten treppab fand ich mich in der dicken, tropischen Schwüle eines großen - ach was, riesigen - Schwimmbades wieder, dessen Wasser, wie es schien, konstant auf Badewannentemperatur gehalten wurde. Die zurückhaltende Beleuchtung bemühte sich nach Kräften, den Zauber eines Rotlicht-Etablissements zu rekreieren, die säuselnde Beschallung schaffte es, dass man sich ohne Einkaufswagen vor dem Bauch ziemlich rasch nackt zu fühlen begann. Eine Luft wie handwarme Hühnerbrühe machte das Atmen zu einer physischen Übung. Jedes die Muzak übertönende Geräusch hallte tausendfach verstärkt von den gekachelten Wänden wider und dröhnte in meinen Ohren. Vielleicht ein halbes Dutzend stark geschminkter Models in knappen Badeanzügen räkelte sich am Beckenrand und kommentierte giggelnd meine Erscheinung. Hauptsächlich die unterhalb der Gürtellinie. Rechts von ihnen hockten die unvermeidlichen Spieler um den unvermeidlichen Spieltisch und zelebrierten das unvermeidliche Spiel. Sascha - muss ich es sagen? -, Sascha Sentz war nicht dabei.
    Hausdealer Scuzzi wurde gleich von einem blond gesträhnten Goldkettenträger in Shorts und Hawaiihemd beiseite genommen, mich ließ man einfach stehen. Stehen und brodeln.
    Brodeln und stieren. Stieren und schwitzen. Schwitzen, stehen, stieren und brodeln.
    Spätestens an diesem Punkt hätte ich auf der Hacke kehrtmachen sollen.
    Doch ich blieb. Stand da wie verwurzelt und gaffte die lasziven Schönheiten an, die mir mit jedem taxierenden Lächeln, mit jedem provokanten Augenaufschlag, mit jedem Griff ins wallende Haar, jedem trägen Wechsel der Pose auf ebenso subtile wie unmissverständliche Art zu verstehen gaben, dass jeder, jeder in diesem Haus, selbst der älteste, haarigste, fetteste der Zocker am Tisch die freie Wahl unter ihnen hatte, jeder hier, mit einer einzigen Ausnahme, und das war ich.
    Nur so aus Interesse probierte ich, ob meine Füße wirklich am Boden festgewachsen waren, doch nein, es schien nur eine Art von Krampf zu sein, ähnlich dem, der meine Kiefer gepackt hielt, nur ein schlichter Krampf also, der sich am besten durch Bewegung lösen ließe, durch Bewegung vorwärts, auf den Tisch zu.
    Boff, materialisierte sich ein Lakai im Frack an meiner Seite, griff mit weißen Handschuhen nach meinem Ellbogen und flüsterte eindringlich, ich solle bleiben, wo ich war, ich solle stehen bleiben, ich dürfe das Spiel nicht stören, unter keinen Umständen dürfe ich das Spiel stören und - Nur so etwas wie ein Achselzucken von mir, und der Livrierte teilte die Wogen.
    Das entzückte Kreischen der Mädels prallte gegen alle gefliesten Flächen und fiel von dort in unkoordinierten Schockwellen über mich her.
    Das schien meine Knie weiter zu lockern, denn ich machte jetzt gute, lange Schritte, wohl bemessen, kraftvoll und entschlossen, weiter auf den Tisch zu, auf die sichtlich gestört und entgeistert starrende Runde, allesamt reiche Stinker, selbst im Unterhemd noch als solche zu erkennen - die Haarschnitte, die Uhren, die Brillen, die Zähne -, ich war fast da, fast über ihnen wie ein Ptelodachthylus, da packten mich zahlreiche Arme von hinten, langten energisch zu, doch war es, als ob sie versuchten, eine Planierraupe am Rückspiegel festzuhalten, denn ich machte unbeirrt noch einen Schritt und dann noch einen, den letzten, den ich brauchte, um diesem unseligen Impuls nachzugeben, der mich schon den ganzen

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