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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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noch mal, nur ohne Amüsement. Gelangweilt, eher.
    »Also«, fasste ich mich wieder, »wie geht 's jetzt weiter?«
    Und hätte mir auf die Zunge beißen können. Genau das fragen sie immer, alle, an diesem Punkt. Vielleicht gibt es einfach nur so und so viele Formulierungen im Umgang mit Geldeintreibern, ich weiß es nicht.
    Charly seufzte. Er hatte dieses Gespräch schon tausendmal geführt, wenn auch vielleicht nicht mit einem seiner engsten Freunde. »Wenn ich in fünf Tagen kein Ergebnis vorweisen kann, sei es Geld, viel Geld, oder sei es dich auf der Intensivstation, nimmt man mir den Vertrag wieder ab und gibt ihn jemand anders. Und das wäre ganz, ganz schlecht fürs Geschäft, Kristof. Du weißt, fast die Hälfte der Stormfuckers lebt inzwischen von diesem Business.«
    Ah, prächtig. Eine Leiche an den Füßen, die Kripo am Arsch, einen Gangster im Genick, eine Schlinge um die Rechte, und jetzt auch noch die Verantwortung für das Wohlergehen fast der Hälfte meiner alten Gang wie einen Klotz am Bein. Es regnet nicht, es schüttet gleich, wie die Briten sagen.
    Marion kam in die Küche, ein Handtuch um den Kopf und ein anderes so gerade, haarscharf, knappst, um Brust, Bauch und Hüften gewunden und schaffte es nicht, mich abzulenken, so genervt war ich von meiner Lage, und so angestrengt versuchte ich eine genial einfache Lösung zu ergrübeln. Selbst als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um eine Tasse aus einem hoch angebrachten Regal zu fischen, sah ich kaum auf.
    »Also, wenn ich dich recht verstehe, schaffst du es, mir für gerade mal fünf Tage den Rücken freizuhalten?«
    »Noch viereinhalb«, korrigierte mich Charly. »Und wer dann den Auftrag bekommt, ist unmöglich zu sagen, doch so, wie die Dinge im Augenblick stehen, ist zu befürchten, dass es ein auswärtiges Talent sein wird. Und ich meine >befürchten<.« Er wartete, bis seine Else sich einen Kaffee eingeschüttet, eine HB angesteckt und wieder davongestelzt war, verabredet mit Föhn und Kleiderschrank, ehe er weitersprach. »Elvis steckt in irgendwelchen Schwierigkeiten. Er braucht Bares und treibt es ein, wie und wo er nur kann. Und ein paar dieser importierten Teilzeitkräfte habe ich kürzlich mal, na ja, nicht kennen gelernt, aber gesehen zumindest. Einen, hör gut zu, das verschafft dir ein Bild, einen habe ich mal vom Flughafen abgeholt, nichts als ein Bengel von vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahren, irgendwo aus der Taiga oder Pampa oder Puszta, mit dem Haaransatz zwei Finger über den Augenbrauen. Sprach kein Wort Deutsch, matschte nur die ganze Fahrt über mit offenem Mund auf 'nem Kaugummi herum und stieß bei jedem Mercedes, dem wir unterwegs begegneten, so 'ne Art Urlaut aus. Fand er gut, Mercedes. Ich habe ihn dann bei der verabredeten Adresse abgesetzt, ihn da vier Stunden später wieder eingesammelt und zurück zum Flughafen gefahren, Kaugummi kauend und >Harblabasta< rufend bei jedem Auto mit 'nem Stern auf der Haube. Womit ich sagen will: völlig unverändert. Und am nächsten Morgen stand in der Zeitung, dass in genau den vier Stunden in Dortmund ein Barbesitzer in seiner eigenen Woh
    nung überfallen und mitsamt zwei seiner Hostessen durch je drei Schüsse in den Hinterkopf regelrecht hingerichtet worden ist. Von dem oder den Tätern keine Spur. Harblabasta.«
    Meine Innereien vollführten eine mühsame halbe Umdrehung und fielen dann zurück wie die Trommel einer überladenen Waschmaschine. Ich hatte es mir, ehrlich gesagt, nicht so ernst vorgestellt. Nicht halb so ernst. In all meinen etwas vagen Plänen und Vorstellungen hatten Genickschüsse keine Rolle gespielt.
    Ich steckte mir eine an, stand auf und ging zum Fenster.
    »Sag mal«, sagte ich und atmete Rauch gegen das Glas, »dein Elvis und mein Pascha. Die müssen sich doch gekannt haben, oder? Sie teilten ja zumindest ein Hobby.«
    »Mehr als das. Sie waren mal Partner. Hatten zusammen eine Discothek in Hückelhoven. Ist Pleite gegangen der Laden.«
    Ich dachte: Ist das wahr? Ist das die Möglichkeit? Träume ich?
    Tief unten, am Boden des Schachtes der Mine, aus der ich meine Inspiration beziehe, stieg eine Idee in den Förderkorb und presste den Knopf >Aufwärts<. Und oben begann sich das große Rad zu drehen.
    »Warum fragst du?«
    Ich drehte mich wieder zu ihm um. »Sieh dir mal meine Situation an: Zahlen kann ich nicht. Nicht in fünf Tagen, nicht in hundert Tagen, nie. Das einzige Mal in meinem Leben, dass ich Zweihunderttausend besessen habe, war im

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