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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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dass der Anblick unerträglich wurde.
    »Tu was«, bat ich Scuzzi, und hatte er gerade eben noch eine kleine Ewigkeit gebraucht, um den Revolver aus der Jackentasche zu kramen, die Sicherung zu finden und zu deaktivieren und schließlich dem in meinen Arm verbissenen, fanatisch zerrenden Hund die Mündung auf den Pelz zu halten und abzudrücken, so schien er diesmal bewusst zu zögern, weil der erste Schuss schon so laut gewesen war.
    »Und scheiß auf den Lärm!«, zischte ich, und er beugte sich schon vor, um dem Vieh den Rest zu geben, als dieses ein letztes, nackenhaaraufrichtendes, abgrundtiefes Stöhnen von sich gab und endlich erschlaffte.
    Im Fernsehen wird immer so schön erschossen, tausendmal am Tag: peng, Kugel in die Brust, uff, umgefallen und Augen zu, fertig. Schnitt, der Nächste, bitte. Keine Schreie, keine Krämpfe, keine schier endlose Agonie, kein Herumgewälze in Pisse, Scheiße, Strömen von Blut.
    »Nun denn.« Scuzzi wirkte ungerührt. Er steckte die Knarre ein, hob die Lampe auf und löschte sie. Horchend standen wir ein Weilchen im Dunkeln, und ich musste mir Scuzzis Taschenflasche zweimal reichen lassen, bis ich meinen Shake halbwegs unter Kontrolle bekam. Diese gespenstische Attacke aus dem Dunkel würde ich so schnell nicht vergessen. Und auch nicht dieses schauerliche Verrecken.
    Etwas Blut tropfte aus meinem Jackenärmel, doch der Arm ließ sich, wenn auch unter Schweißbildung auf der Stirne, bewegen. Beide Arme hinüber, Georgudopulos hatte es schon geahnt. Seit ich aus einem unseligen Impuls heraus mal hingegangen war und einen Tisch umgeschubst hatte, befand ich mich auf dem direkten Weg, zu einem Fall für die Pflegeversicherung zu werden.
    Etwas wie bleierne Müdigkeit und die Lust an der Niederlage wollte mich überkommen. Im schwarz gestrichenen, fensterlosen und von einer einzigen, nackten Glühbirne eher schwach beleuchteten Hinterzimmer meines Bewusstseins begannen die New York Dolls ihre Instrumente einzustöpseln, und Johnny Thunders kündigte >Born to lose< an, >especially for our good friend Kristof<.
    Doch ich hatte ja noch einen Partner, gesegnet mit einem ausgeprägten Greiftrieb.
    »Los, los, los«, drängte er, »alle Mann an Bord!« Wo selbst auf den Schuss hin niemand erschienen war, schenkte er sich sogar das Flüstern. Am liebsten hätte er wahrscheinlich noch das Licht angemacht. Der Gedanke war es, der mich wieder aus dem Hinterzimmer holte und mir meine alten Einbrecherreflexe zurückgab.
    »Warte«, sagte ich, nahm die Lampe und leuchtete die Wände ab, bis der Lichtstrahl an einem unscheinbaren grauen Blechschrank hängen blieb. Der Sicherungskasten. Mit, wie sich herausstellte, insgesamt neun guten alten Porzellansicherungen. Bis ich die erste rausgedreht hatte, war Scuzzi mit den übrigen acht fertig. Wir schmissen sie in eine Ecke, kramten aus einer anderen eine Aluleiter und hasteten hinüber zum Boot.
    Sieben Sprossen später standen wir an Deck, bibbernd vor Aufregung. Reichtum und Verderben, die Zukunft war voller Möglichkeiten für süßesten Jubel und bitterste Reue. Es war, um es kurz zu machen, einer dieser Momente, die man rasch hinter sich bringen und dann keinesfalls noch mal durchleben möchte.
    Die Luke zum Kajütenabgang war verschlossen. Scuzzi hebelte sie auf. Teakholz splitterte.
    Die Kajütentüre war abgeschlossen. Scuzzi schwang das Brecheisen, und wieder splitterte Teak. Ich horchte derweil ständig nach draußen, doch alles blieb ruhig. Nichts verführt schneller zu Leichtsinn, als bei einem Bruch herumlärmen zu können, wie man will.
    Noch während ich die Stufen zur Kajüte hinabkletterte, blickte ich hinaus durch die staubigen Fenster. Verlassen lag der Platz im fahlen Nachtlicht.
    »Hahaa!«, machte Scuzzi, und ich dachte schon, er wäre auf die geheimnisvolle Ladung gestoßen, doch es war nur die Bordbar. Während er sich mit einem gehörigen Schluck Cognac stärkte, ließ ich den Lichtkegel wandern. Einbauschränke, Einbaukojen, Einbaubänke, Einbauküche und jede Menge Sperrholzverkleidungen. Mit Mahagonifurnier. An Ort und Stelle gehalten von sauberen Reihen von Messingschrauben. Ich leuchtete an die Decke.
    »Schraub das mal ab«, sagte ich.
    Der Akkuschrauber winselte. Schwer neigte sich die Sperrholzplatte, kaum dass die ersten Schrauben herausgedreht waren. Noch zwei, drei Stück, und es begann, Plastikbeutel zu regnen. Transparente Plastikbeutel, jeder so groß wie ein Paket Kaffee etwa und prall gefüllt mit einem

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