Sensenmann
Gerichtsberichte sind schließlich mein Ressort.« Es schadete nichts, dem Kollegen das noch einmal deutlich unter die Nase zu reiben, hatte Mark geraten. »Ich wüsste es gern, bevor wir in der Konferenz weitere Termine festlegen, damit ich planen kann.«
»Morgen.« Tom quetschte das Wort heraus, als ekle er sich davor.
»Welche Zeit?« Lara schlug ihr Notizbuch auf und wartete, den Stift gezückt. Sie war sich sicher, dass Tom auch diesen Termin an ihrer Stelle hatte wahrnehmen wollen, wenn sie nicht danach gefragt hätte.
»Elf.«
»Um elf?«
»Ja.« Tom kniff die Augen zusammen.
»Wir haben ja noch nichts über den Fall gebracht, oder?« Lara wusste, dass noch nichts darüber in der Tagespresse gestanden hatte, weil sie die Ausgaben seit Mittwoch durchgesehen hatte, aber das brauchte Tom nicht zu erfahren.
»Nein.« Er war offensichtlich wütend, aber wahrscheinlich eher darauf, dass Lara ihm auf die Schliche gekommen war, als auf das, was er getan hatte.
»Aber du hast doch sicherlich schon etwas vorbereitet, Aufzeichnungen, Stichpunkte?«
Tom rollte mit seinem Stuhl von links nach rechts, antwortete aber nicht.
» Hast du etwas zu dem Fall vorbereitet, Tom? Antworte mir, bitte.«
»Ja.« Seine Augen waren nur noch zwei schmale Schlitze.
»Dann schick es mir auf meinen Rechner. Ab jetzt übernehme ich das. Und in Zukunft möchte ich wieder rechtzeitig über alles informiert werden, was in mein Ressort fällt.« Er antwortete nicht, sondern blickte stur auf seinen Monitor, aber Lara war noch nicht ganz fertig. »Eine Frage habe ich noch. Wenn ich Montag nicht erreichbar war, warum hast du mir am nächsten Tag nichts von dem geänderten Termin gesagt?«
»Hab’s vergessen.« Fast konnte sie seine Zähne aufeinander knirschen hören.
»Ah, ja. Nun gut. In Zukunft wird das nicht wieder vorkommen, hoffe ich.« Jetzt hörte sie sich wie ihre Mutter an. Lara nahm die Hände von der Tischplatte. Ihre Handflächen hatten zwei feuchte Abdrücke hinterlassen, die sich schnell verflüchtigten. Was wäre geschehen, wenn sie Tom heute nicht darauf angesprochen hätte? Wäre er dann morgen wieder ins Gericht gegangen, ohne ihr etwas davon zu sagen? Und hatte das eben gereicht, um ihm einen Schuss vor den Bug zu geben? Laras Nacken kribbelte.
»Kaffee?« Isi stiefelte herbei, in jeder Hand eine bauchige Tasse mit dem Zeitungslogo.
»Sehr gern. Das ist ganz lieb von dir.« Tom sah hoch, ein breites Lächeln im Gesicht. Der Mann war ein Chamäleon. Eben noch hatte er vor Wut kaum sprechen können, und nun bezirzte
er die Praktikantin, dass es nur so knisterte. Isabell stellte eine Tasse neben Laras Mauspad und ging hüftschwenkend hinüber zu Tom, um sich auf einer Ecke seines Schreibtisches niederzulassen. Lara schüttelte unmerklich den Kopf, schrieb »Tom Notizen Hooligan-Prozess« auf eine Haftnotiz und klebte diese an den Rand des Bildschirms, ehe sie sich wieder ihrem Hintergrundbericht zuwandte.
»So, liebe Kollegen. Das war alles. Gibt es noch Fragen?« Hampenmann hatte sich vor dem großen Konferenztisch aufgebaut und schaute in die Runde. Mit den auf die Tischplatte gestützten Fäusten sah er aus wie ein gebieterisches Gorillamännchen. Ein sehr kleines gebieterisches Gorillamännchen. Lara verkniff sich ein Grinsen.
»Dann zurück an die Arbeit, Leute.« Gemurmel setzte ein. Stühle scharrten.
»Kommst du mit essen?« Hubert berührte Laras Unterarm. »Wir wollen zu Curry-Fritz .«
»Gern. Jetzt gleich?« Hubert nickte, und sie folgte ihm. Auch Isabell stakste hinterher. Im Hinausgehen sah Lara, wie Tom nach vorn zum Redaktionsleiter ging. Dann fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss.
Auf der Straße schlug ihnen schwüle Luft entgegen. Bleierne Wolken hingen über den Dächern. Kaum dass sie aus der Tür waren, steckte Friedrich Westermann sich eine Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie aber nicht an. Hubert wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn und betrachtete dann nachdenklich den feuchten Fleck auf dem Stoff, ehe sie sich alle in Bewegung setzten. Aus der Currywurstbude drang der scharfe Geruch von verschiedenen Gewürzen, Ketchup und gebratenem Fleisch. Lara stellte sich hinter Friedrich, der den Glimmstängel jetzt vom Mundwinkel hinter das linke Ohr verfrachtete. Sie betrachtete den fettig schwarzen Belag auf dem Grillrost und entschloss sich, nichts zu
essen, sondern nur eine kalte Cola zu trinken. Eine richtige mit Zucker. Das würde ihren Kreislauf hoffentlich wieder in
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