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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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Es klingelte an Rainer Grünkerns Wohnungstür.

32
    »Guten Morgen.« Lara schloss die Tür hinter sich und schaute sich um. In der Redaktion summte es wie in einem Bienenstock. Auch wenn sich manche von ihnen die ganze Woche über nicht sahen, montags traf man sie fast alle hier an. Sie nickte Hubert und Friedrich zu und drapierte die Henkeltasche neben dem Rollcontainer. Nur Tom fehlte schon wieder.
    »Hi, Lara!« Isabell trippelte heran. Heute trug sie einen kurzen braunen Wildlederrock mit Fransen, die bei jedem Schritt wippten, und dazu Stiefel, die bis ans Knie reichten. Es erinnerte ein bisschen an Julia Roberts in Pretty Woman . Sie hatte ihren Blick »zutrauliches Rehkitz« aufgesetzt. »Wie war dein Wochenende?«
    »Sehr schön.« Das musste reichen. Es war eine rhetorische Frage. Die Praktikantin wollte mit Sicherheit nicht wirklich wissen, dass Lara am Sonnabend bis drei Uhr früh mit ihrer Freundin auf der Ladies’ Night getanzt hatte und am Sonntag mit gleich zwei Männern aus gewesen war. Sie setzte sich und schaltete den Computer ein. »Und du?«
    »Ich war zu Hause.« Isabell zog einen Flunsch. »Hab ferngesehen und gelesen und mal wieder richtig sauber gemacht.« Anscheinend wollte sich die Kleine doch unterhalten.
    »Du warst gar nicht aus?«
    »Nein. Diesmal nicht.« Die Unterlippe schob sich noch ein Stückchen weiter vor. Sonst war sie doch jedes Wochenende mit Tom um die Häuser gezogen. Hatte der Kollege die kleine Praktikantin etwa abserviert?
    »Das muss auch mal sein. Wo ist eigentlich Tom?«
    »Weiß ich nicht. Kommt bestimmt gleich.« Wenn sie so weitermachte, konnte sie mit ihrer Lippe den Fußboden wischen. Im gleichen Moment wurde die Tür schwungvoll aufgestoßen, und
der Gesuchte kam hereingefegt. Seine Wangen waren gerötet, die Augen blitzten. »Morgen allerseits!« Lara beobachtete, wie auf Isabells Gesicht ein verzücktes Lächeln erschien. Die Praktikantin lief strahlend auf ihn zu, aber Tom ließ sie mit einem schnellen »Morgen, Isi« links liegen und verschwand im Nachbarzimmer. Isabell stand wie eine Marmorstatue mitten im Raum und sah nach nebenan, während ihr Unterkiefer im Zeitlupentempo nach unten sank.
    Lara wandte den Blick ab und überflog die News. Da war eindeutig etwas faul zwischen den beiden Turteltauben, aber anscheinend wusste nur Tom Fränkel, was es war. Sie beschloss, bis zur Redaktionskonferenz an ihrem Hintergrundbericht über häusliche Gewalt weiterzuarbeiten, konnte sich aber nicht konzentrieren. Die geplante Aussprache mit Tom ging ihr nicht aus dem Kopf. Nachdem sie sich gestern Nachmittag von ihrem Schock über die Folterbilder erholt hatte und wieder klar denken konnte, hatten Mark, Jo und sie eine Strategie festgelegt, wie sie mit dem intriganten Kollegen umgehen sollte. Ein Gespräch, in dem sie ihm klarmachte, dass sie über alles Bescheid wusste, stand am Anfang. Lara war sich nur noch nicht sicher, ob sie es vor oder nach der Redaktionskonferenz führen sollte.
    Als hätte er ihre Gedanken gelesen, kam Tom aus dem Nachbarzimmer, nahm ihr gegenüber Platz und begann übergangslos, auf die Tasten zu hämmern. Lara sah sich nach Isabell um, aber die Praktikantin war in der Küche verschwunden. Wahrscheinlich kochte sie Kaffee für alle.
    »Wann wird denn der Prozess gegen die vier Hooligans fortgesetzt, die auf dem Bahnhof zwei Passanten zusammengeschlagen haben?« Lara hatte sich zurückgelehnt und die Hände flach auf die Tischplatte gelegt. Sie konnte nicht bis nach der Redaktionskonferenz warten.
    »Der Prozess …? Was für ein …?« In Toms Augen flackerte es kurz, dann hatte er sich gefangen. »Du meinst die Fußballrowdys?«

    »Genau die. Warst du nicht letzten Dienstag deswegen im Gericht?«
    »Richtig. Der Jugendrichter hat den Termin vorgezogen.« Tom redete zu schnell. Und er gestikulierte zu viel. Lara kräuselte ihre Augenbrauen.
    »Es kam erst Montagnachmittag rein. Hampenmann hat mich hingeschickt, weil du nicht erreichbar warst.«
    »Weil ich nicht erreichbar war, hm. Wo habt ihr denn versucht, mich zu erreichen?«
    »Das weiß ich doch nicht, Lara. Ich habe erst davon erfahren, als der Chef mich damit beauftragt hat.«
    »Ich verstehe.« Wenn du glaubst, ich nehme dir das ab, mein Freund, hast du dich geschnitten. Lara fühlte die glühenden Wellen des Zorns in ihrem Bauch und zwang ihre Mundwinkel zu einem süffisanten Lächeln nach oben. »Also, wann ist denn nun die nächste Verhandlung? Ich möchte mich vorbereiten.

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