Sensenmann
Nummer fünfzehn war weiträumig mit rotweißem Flatterband abgesperrt. Ermittler der Spurensicherung schafften Gegenstände in ihre Autos. Lara hatte ihren Mini auf dem Netto -Parkplatz gegenüber abgestellt. Es war nicht zu erwarten, dass man sie an den Tatort ließ, aber sie konnte Anwesende befragen und versuchen, an den einen oder anderen Beamten heranzukommen. Hauptsache, sie lief dem »Blechmann« nicht über den Weg. Kriminalkommissar Stiller hasste Lara, seit sie denken konnte. Auf der dem Haus gegenüberliegenden Straßenseite hatte sich eine Menschentraube gebildet, und sie marschierte auf die Leute zu.
Der Menschenauflauf bestand aus mindestens zwanzig Leuten, die entweder miteinander diskutierten oder mit halboffenen Mündern das Spektakel auf der anderen Seite bestaunten. Ein Jugendlicher mit Lippenpiercing schoss Handyfotos. Ein komplett
schwarzgekleidetes Mädchen mit rosagefärbten Haaren klammerte sich wie eine Ertrinkende an seinen Arm. Während Lara noch die Leute taxierte und versuchte, ihre Glaubhaftigkeit einzuschätzen, hatte die Gruftibraut sie am Ärmel gezupft und gesagt: »Sie sind doch von der Presse, nicht?«
Erst nach einigen Sekunden war es Lara eingefallen, woher sie die beiden kannte. Bei ihren Recherchen zur ersten Plattenbauleiche hatte sie vor ungefähr zwei Wochen drüben an der Kaufhalle mit einer Gruppe Jugendlicher, darunter auch mit der Rosagefärbten und ihrem Freund, gesprochen.
33
Matthias malte den Namen: Rainer Grünkern. Er betrachtete die Buchstaben kurz, ehe er dahinterschrieb »erledigt«. Ein zufriedenes Lächeln kroch in seine Mundwinkel. Ein Kinderschänder weniger auf der Welt. Sein Hals schmerzte an den Stellen links und rechts des Kehlkopfes, an denen der ehemalige Heimleiter ihn gepackt hatte, noch immer, obwohl nichts zu sehen war.
Regen prasselte ans Fenster und tränkte die durstige Erde. Der Abend war herangeschlichen, ohne dass Matthias es bemerkt hatte. Er überflog noch einmal die Namen auf der Liste und überlegte dabei, ob er zuerst den Brief mit dem Grünkern-Memorandum an Mandy schreiben oder seine Pläne für die nächsten Sünder konkretisieren sollte. Er entschied sich für die Recherche. So würde er seiner Schwester gleich die weiteren Projekte ankündigen können. Die Tabelle der Übeltäter war noch lange nicht abgearbeitet.
Helmut Vogel, Uwe Kalender, Sigrid Erzig und Gisela Schönbrunn – das waren die Namen, welche die Sagorski ihm genannt hatte. Keiner der vier sagte ihm etwas. Grünkern hatte
dem nichts Neues hinzugefügt, und doch war die Auflistung mit Sicherheit noch nicht vollständig. Matthias ließ die Namen auf sich wirken, aber es stellten sich keine Bilder dazu ein. Entweder hatte er die Erzieher nicht selbst erlebt oder sie und ihre Schandtaten einfach verdrängt. Aber es gab eine Möglichkeit, das herauszufinden. Seinen Brieffreund Sebastian Wallau. Er konnte ihn danach fragen. Hatte dieser nicht geschrieben, dass mehrere Ehemalige mit ihm Kontakt aufgenommen hatten? Der Mailfreund hätte sicher nichts dagegen, Matthias deren E-Mail-Adressen zu geben, damit er sich mit ihnen in Verbindung setzen konnte – der alten Zeiten wegen. Der Computer summte aufnahmebereit, und Matthias loggte sich ins Internet ein. Ohne darüber nachzudenken, rief er zuerst die News auf.
Erneuter Leichenfund
In Grünau ist gestern ein Rentner tot in seiner Wohnung gefunden worden. Ein Nachbar entdeckte den Leichnam am gestrigen Sonntagabend in seinem Schlafzimmer. Die genauen Todesumstände sind noch unklar, Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln.
Bereits am 14. Juli war ebenfalls in Grünau eine Leiche – allerdings in einem Abbruchhaus – gefunden worden. Hier hat die Obduktion mittlerweile bestätigt, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelt. Ob es einen Zusammenhang zwischen beiden Fällen gibt, ist noch nicht geklärt.
Matthias spürte, wie sich seine Kopfhaut nach hinten zog. Man hatte Rainer Grünkerns Leiche schon gefunden? Oder war es ein anderer Toter? Hastig tippten seine Finger Wörter in die Suchmaschine, und sein Blick flog über die Ergebnisse. Nach einer Weile lehnte er sich zurück und durchdachte das Gelesene. Der Tote war Rainer Grünkern, daran bestand kein Zweifel, auch
wenn in den Artikeln der volle Name nicht genannt wurde. Ein Wohnungsnachbar hatte die halb geöffnete Eingangstür entdeckt, nach Grünkern gerufen und war, als sich niemand meldete, in die Wohnung eingedrungen, weil er fürchtete,
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