Sensenmann
stolperte, taumelte und fing sich im letzten Moment wieder. Die Pumps waren nicht das richtige Schuhwerk für dieses altertümliche Pflaster. Mit den spitzen Absätzen blieb man in jeder zweiten Fuge hängen. Wenn längere Wege zu Fuß anstanden, trug sie immer flache Schuhe.
Für einige Stunden im Gerichtssaal schienen ein paar schicke Absatzschuhe jedoch allemal geeignet, und so hatte sie sich heute Morgen für die Pumps entschieden. Lara unterdrückte einen Fluch, als der rechte Fuß von einem Pflasterstein abrutschte. Wenn sie sich schon nicht den Knöchel brach, so ruinierte sie
sich zumindest die Absätze der teuren Schuhe. Bei ihren wunderbaren Planungen hatte sie nicht bedacht, dass dienstags Markttag war und alle Parkplätze in der Nähe des Gerichts belegt sein würden. Sie war zweimal alle Nebenstraßen abgefahren und hatte sich am Ende doch mit mindestens fünfzehn Minuten Fußmarsch abfinden müssen.
Und nun war es schon acht Minuten vor elf, und sie hatte noch zwei Querstraßen vor sich. Wenn man zu spät zu einer Verhandlung kam, waren die Türen des Gerichtssaals verschlossen, und man musste eine Pause abwarten, um hineingelassen zu werden. Sie hasste es, zu spät zu kommen. Außer Atem erreichte sie das Eingangsportal und hastete die Stufen nach oben. Noch vier Minuten. Gerade noch rechtzeitig! Die drei Meter hohe Flügeltür schwang schwerfällig auf, und Lara nickte dem Pförtner zu und eilte zur Mittelhalle hinauf. Oben angekommen blieb sie kurz stehen und sah sich um. Beide Seitengänge waren menschenleer. Rechts hinten saßen drei Leute. Das war alles.
Auf ihrer Stirn bildeten sich zwei steile Falten. Kurz vor Verhandlungsbeginn wimmelte es auf dem entsprechenden Flur immer von Menschen – Anwälte in ihren schwarzen Roben eilten Fledermäusen gleich über den Gang, Zeugen rutschten auf den glattgescheuerten Holzbänken hin und her, Pressevertreter hielten Leuten Mikrofone vors Gesicht.
Die große runde Uhr im Mitteltrakt zeigte zwei Minuten vor elf. Es war in ihrer gesamten Zeit als Gerichtsreporterin noch nie vorgekommen, dass Richter vorzeitig mit der Verhandlung begannen. Eher verspäteten sie sich. Sie hätte hinunter zur Pforte gehen und den Beamten fragen können, aber das hätte einen ziemlich unprofessionellen Eindruck gemacht.
Langsam schritt Lara nach rechts und checkte die Aushänge an den Türen. Am kleinen Schwurgerichtssaal hing »ihre« Verhandlung aus. Eilends überflog sie die Zeilen und blieb bei der Anfangszeit hängen: Dienstag, 04.08, Beginn: 10:00 Uhr.
Lara trat noch einen Schritt näher und las die angegebenen Zeiten noch einmal, aber es blieb dabei. Die Verhandlung gegen die Fußballrowdys hatte bereits vor einer Stunde begonnen.
Es dauerte ein wenig, bis ihr klar wurde, was das zu bedeuten hatte: Tom hatte sie eiskalt angelogen. Er wollte, dass sie zu spät kam und den Termin verpasste. Und sie hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass solch eine späte Anfangszeit ungewöhnlich war, dabei begannen die Richter nie so spät, weil sie spätestens um eins in die Mittagspause gingen. Aber das war ihr gestern gar nicht aufgefallen. Rotglühende Wut ballte sich in ihrem Bauch zusammen. Da war sie nun so stolz auf sich gewesen, hatte sich als Siegerin gefühlt, weil sie geglaubt hatte, Tom in seine Schranken gewiesen zu haben, und der Kerl besaß die Frechheit, sie im gleichen Atemzug erneut über den Tisch zu ziehen! Und sie war auch noch zu blöd gewesen, um seine Aussage zu überprüfen! Nach allem, was vorgefallen war!
Lara hatte schon das Telefon in der Hand, um in der Redaktion anzurufen und ihm die Hölle heiß zu machen, als ihre Vernunft zurückkehrte. Das wäre genau das, was Tom erwartete – eine aufgebrachte Kollegin, die sich in ihrer Rage um Kopf und Kragen redete. Aber die Blöße würde sie sich nicht geben! Noch immer wütend, marschierte Lara zu einer der Holzbänke und setzte sich.
Wenn sie nicht kampflos aufgeben wollte – was nicht infrage kam –, würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als bis zur nächsten Verhandlungspause hier zu warten. Wenn sie Glück hatte, war einer ihrer Zeitungskollegen im Saal und konnte ihr nachher eine Zusammenfassung geben. Sie atmete tief ein und aus, ließ dabei die Schultern nach unten sinken und dachte an Marks Ratschläge. Lass den Gegner nie wissen, was du als Nächstes planst. Versuche herauszufinden, was der Rivale erwartet, und tu das Entgegengesetzte.
Tom nahm mit Sicherheit an,
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