Sensenmann
oben.
»Das wird aber auch Zeit, meine Liebe!« Tom stand neben dem Kopierer und hatte einen selbstgerechten Ausdruck im Gesicht. »Der Chef wartet schon seit zwei Stunden, dass du wieder auftauchst! Wo warst du eigentlich?«
»Das geht dich gar nichts an.«
»Wenn du meinst. Jetzt solltest du aber ganz schnell zu ihm gehen, sonst nimmt das noch ein böses Ende. Wenn es das nicht schon hat.« Er grinste süffisant und beugte sich nach vorn, um die Kopien aus der Ablage zu nehmen, aber Laras nächste Worte bewirkten, dass er sich wieder aufrichtete und sie mit verblüfftem Gesichtsausdruck ansah.
»Ich hoffe, es nimmt für dich kein böses Ende. Komm mit nach draußen, ich muss dir etwas zeigen.«
»Wie?«
»Ich sagte, komm mit mir nach draußen . Ich habe etwas, das dich interessieren dürfte. Du möchtest doch nicht, dass die ganze Redaktion zuhört, was du für ein Lügner bist?« Irgendetwas an ihrem Tonfall schien Tom zu sagen, dass sie nicht bluffte, denn er folgte ihr ohne weiteres Widerstreben auf den Flur.
»Schau dir einfach die Fotos an.« Lara hielt ihm das Handy vors Gesicht und ließ die Bildfolge ablaufen. Sein Unterkiefer sackte von Foto zu Foto weiter nach unten.
»Hast du die Uhrzeit bemerkt?«
»Lara, ich kann das erklären.« Er klang weinerlich.
»Das glaube ich nicht, mein Lieber. Und ich möchte deine Erklärungen auch gar nicht hören. Du ahnst sicher, was ich stattdessen erwarte.«
»Wer hat diese Fotos eigentlich gemacht? Ist das nicht Bespitzelung
am Arbeitsplatz? Ich glaube nicht, dass das erlaubt ist.« An Toms Nasenspitze konnte man sehen, dass er glaubte, einen Ausweg aus seiner Lage entdeckt zu haben, aber Lara fuhr ihm in die Parade.
»Das ist nicht wichtig. Ich hätte da noch etwas. Hör einfach zu.« Sie ließ die Aufzeichnung des Telefongesprächs gerade so weit ablaufen, dass er erkannte, was sie da gegen ihn in der Hand hatte. In Toms Gesicht jagten sich die Emotionen, aber er schwieg. Er wusste, wann er verspielt hatte.
»Ich sehe, du verstehst. Hampenmann ist gegen Beziehungen am Arbeitsplatz. Schon gar nicht würde es ihm gefallen, wenn Kollegen etwas mit einer Praktikantin anfangen. Oder besser gesagt, mit einer Praktikantin nach der anderen, meinst du nicht auch?«
»Was möchtest du, dass ich tue?«
»Das mit Isabell und Therese kann unter uns bleiben. Vorerst. Ich behalte die Aufzeichnung zur Sicherheit. Und es existieren mehrere Kopien. Komm also nicht auf dumme Gedanken.« Sie sah ihm dabei in die Augen und meinte ein kurzes Auflodern von Hass zu sehen. Das mit den Kopien würde sie nachher erledigen. Mochte er ruhig glauben, sie existierten schon längst. »Aber deine Anschuldigungen gegen mich solltest du schnellstens zurücknehmen.«
Friedrich kam langsam zurück und huschte an ihnen vorbei. Er roch nach Zigarettenrauch und hatte ein merkwürdiges Grienen im Gesicht. Tom bemerkte davon nichts. Er schlang, ohne es zu merken, die Finger ineinander und löste sie wieder. Als der Kollege in den Redaktionsräumen verschwunden war, fragte er: »Wie?«
»Du gehst jetzt sofort zu Hampenmann und sagst ihm, dass du dich geirrt hast, dass deine Vorwürfe gegen mich haltlos sind und dass es dir leidtut. Lass dir etwas einfallen. Du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Dann kann das hier«, sie hob das Diktiergerät hoch, »unter uns bleiben. Isi wird nichts sagen.
Ich werde die Beweise allerdings aufheben. Damit du auch in Zukunft nicht auf dumme Gedanken kommst.«
Tom presste die Lippen aufeinander, drehte sich ohne ein Wort um und stieß die Tür zur Redaktion auf. Mit einem feinen Lächeln sah Lara ihm nach, wie er zur Tür des Redaktionsleiters schlurfte und klopfte. Dann verschwand er in dessen Zimmer, und sie ging, um Jo zu suchen und ihm von den Vorfällen zu erzählen. Ihr Herz klopfte wie wild, und doch fand sie, dass sie sich gut gehalten hatte.
Mark legte auf und sah nach draußen. Auf seiner Frontscheibe klebten zerquetschte Fliegen. In der Praxis war alles in Ordnung. Schwester Annemarie würde noch bis achtzehn Uhr dableiben und die Stellung halten, falls unangemeldete Patienten kamen. Seine Gedanken schweiften zu seiner eigenen Telefonnummer, aber er entschied sich dagegen, zu Hause eine Nachricht zu hinterlassen. Es war auch später noch Zeit, ihnen mitzuteilen, dass er sich auch heute wieder verspäten würde.
Das Haus, in dem Maria Sandmann wohnte, stand schweigend am Straßenrand. Rotes Sonnenlicht spiegelte sich in den oberen
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