Sensenmann
Kohlenhydrate essen. Vollkornprodukte, Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchte. Die werden nur langsam aufgespalten und halten den Blutzucker immer schön konstant.«
»Das hat mir mein Arzt auch gesagt.« Lara schnitt eine Grimasse. »Ich hätte ein paar Fragen an dich. Hast du fünf Minuten Zeit?«
Die gute Seele seiner Praxis, Sprechstundenhilfe Annemarie, steckte den Kopf zur Tür herein, und Mark machte ihr ein Zeichen, dass er gleich fertig sein würde. »Wenn es nicht so lange dauert? Mittwoch ist unser Familientag, und ich darf mich nicht verspäten, sonst gibt es Ärger.« Er versuchte, es fröhlich klingen zu lassen, um dem Satz die Schärfe zu nehmen.
»Danke. Ich werde mich kurz fassen.«
Die nächsten Minuten hörte Mark zu, wie Lara ihm von der Leiche im Plattenbaublock berichtete. Sie hatte kaum Details, nur die offensichtlichen Tatsachen. Aus der Ferne konnte er gar nichts dazu sagen. Es wären reine Spekulationen gewesen. Er gab ihr ein paar Tipps, wonach sie die Kripo fragen könnte, verabschiedete sich mit dem Versprechen, ihr in den nächsten Tagen mit seinem Fachwissen zur Verfügung zu stehen, und legte dann auf.
Er hatte seit über einem Jahr nicht mehr für die Kriminalpolizei gearbeitet. Nicht dass ihm die Fallanalyse fehlte, er hatte
genug mit seinen Patienten zu tun, aber etwas merkwürdig war es schon. Wahrscheinlich bevorzugten sie mittlerweile ihre eigenen Leute, Kriminalpolizisten des Bundeskriminalamtes oder der Landeskriminalämter, die nach ihrer Polizeiausbildung noch Psychologie studiert hatten. Ihm dagegen fehlte diese gewisse Zugehörigkeit. Vielleicht war das der Grund, dass sie seine Fachkenntnisse verschmähten. Vielleicht trauten sie ihm aber auch einfach nicht genug Verschwiegenheit zu? Schließlich war er mit einer Journalistin befreundet. Den Verdacht, im Falle des Serienmörders Mühlmann, der sich selbst »Doktor Nex« genannt hatte, Insiderinformationen an die Presse weitergegeben zu haben, war Mark Grünthal nie ganz losgeworden.
Annemarie öffnete erneut die Tür und kam herein, als sie sah, dass er das Telefonat beendet hatte. Sie wuselte hin und her und murmelte dabei Anweisungen an sich selbst, was für Donnerstag alles vorbereitet werden musste.
Mark betrachtete das Foto seiner Familie auf dem Schreibtisch und erhob sich. Es war höchste Zeit aufzubrechen. Mittwochs gingen sie immer essen, und jedes Mal durfte sich ein anderes Familienmitglied aussuchen, wohin es gehen sollte. Zum Glück für ihn und Anna war heute sein »Wunschtag«. Bei den Kindern lief es nämlich immer auf Burger King oder McDonald’s hinaus. Heute würde es thailändisches Essen geben.
Mark blinzelte dem Foto zu, verstaute seine Utensilien in der Aktentasche und verließ die Praxis.
Lara schaltete das Handy auf »Stumm«, damit es beim bevorstehenden Gespräch mit Kriminalobermeister Schädlich nicht störte, und steckte es in die hintere Hosentasche. Dann sah sie sich nach einer Bedienung um.
Das war ja nicht gerade sehr ergiebig gewesen. Aber Mark hatte recht. Ohne konkrete Informationen zum Leichenfundort,
zur Auffindesituation oder zum Tathergang – wie sie dieses Polizeideutsch hasste – konnte er natürlich keine Aussagen über psychologische Hintergründe machen. Das war ihr eigentlich schon vor dem Telefonat bewusst gewesen. Im Grunde hatte sie ihn nur darauf vorbereiten wollen, dass er in den nächsten Tagen weitere diesbezügliche Anrufe von ihr erhalten würde.
Das Lindencafé war gut besucht. Bei schönem Wetter wimmelte es in dem Gartenlokal von Familien mit Kindern, Bier trinkenden Studenten und älteren Damen mit Hündchen. Es lag verkehrsgünstig, am Rande des Clara-Zetkin-Parks, der von den Einheimischen nur »Clara-Park« genannt wurde, hatte moderate Preise und einen überdachten Bereich, in dem man es auch bei Regen aushielt.
Lara hatte sich einen Platz abseits des Trubels im hinteren Bereich gesucht, der von der Straße aus nicht einsehbar war. An den Seiten bildeten von Buchenhecken umwachsene Nischen natürliche Séparées.
Während sie noch ein paar Spatzen beobachtete, die sich laut um eine heruntergefallene Scheibe Brot stritten, eilte der Kellner herbei. Kies knirschte unter seinen Schritten. Zwanzig Meter hinter ihm tappte Schädlich, sein bulliger Kopf schwenkte von rechts nach links. Jetzt hatte er sie entdeckt, und ein Leuchten überzog sein Gesicht. Bei diesem Anblick fühlte Lara sich für einen Moment unbehaglich. Sie fragte sich, was der
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