Sensenmann
an.«
»Machen wir.« Möllek steckte die Visitenkarte achtlos in die Brusttasche seines Blaumannes und stapfte ohne ein Wort davon. Seine Kollegen taten es ihm nach. Tom sah ihnen noch ein paar Sekunden nach.
Am Auto schaute er auf die Uhr. Es war erst kurz nach zehn. Er hatte noch eine gute Stunde Zeit, um ein bisschen herumzufragen und bei der Pressestelle der Kripo anzurufen. Inzwischen musste der Rechtsmediziner die Leiche obduziert haben. Die Frage war nur, ob man ihm Auskunft geben würde. Wahrscheinlich
eher nicht, aber Tom würde den Leuten gehörig auf die Nerven gehen. Er musterte, den Arm lässig auf dem Autodach, die triste Umgebung. Da fiel ihm eine ältere Dame mit Rollator und Einkaufstüte auf. Vielleicht wohnte sie in der Gegend? »Hallo, junge Frau!«
Die Angesprochene drehte sich fragend um. Es war nirgends eine »junge Frau« zu sehen. Meinte der Mann mit den Strubbelhaaren da drüben etwa sie?
»Ja, Sie! Ich möchte Sie etwas fragen!« Er kam näher. »Wohnen Sie hier in der Nähe?« Die alte Dame nickte würdevoll.
»Ich bin von der Zeitung.« Tom sah, wie die Augen der Alten aufblitzten. Dann straffte sie sich. »Was wollen Sie denn wissen?«
Er lächelte sein Charmeurlächeln und zückte das Diktiergerät.
Mark Grünthal schrieb die Medikation in die Patientenakte und sah dann hoch. Die junge Frau neben seinem Schreibtisch saß auf der Stuhlkante, den Rücken durchgedrückt, die Hände im Schoß verkrampft. An ihren hochgezogenen Schultern konnte er sehen, dass sie noch immer Angst hatte, auch wenn sie dies vehement leugnete.
»Wir versuchen es zuerst mit einem sanften Mittel, um nicht gleich mit der chemischen Keule zu arbeiten. Gleichzeitig beginnen wir mit einer Gesprächstherapie.« Damit war sie nicht einverstanden, nickte aber.
»Hier ist Ihr Rezept, Frau Berg. Meine Sprechstundenhilfe füllt es draußen noch aus.« Mark reichte den rosa Zettel über den Tisch. »Sie nehmen zuerst eine Woche lang jeden Tag morgens und abends eine viertel Tablette, dann jeweils eine halbe und ab der dritten Woche dann eine ganze. Nicht mehr!« Er sah sie an, und sie wandte den Blick ab und murmelte etwas, das wie »Okay« klang.
»Erwarten Sie nicht sofort eine Besserung. Wir schleichen uns sozusagen in die Medikation hinein.« Frau Berg reagierte nicht, sondern starrte zu Boden.
»Vorher sehen wir uns aber noch. Ich schlage vor, Sie kommen in der Anfangszeit zweimal die Woche.« Mark registrierte, dass die Patientin die Schultern noch etwas höher zog, und fragte sich, ob sie zur nächsten Sprechstunde überhaupt erscheinen würde. Aber schließlich war sie von sich aus zum Psychotherapeuten gekommen und hatte Hilfe gesucht.
»Vereinbaren Sie die Termine mit der Schwester.« Er erhob sich, ging voran und öffnete die Doppeltür. »Auf Wiedersehen, Frau Berg.« Ihr Händedruck war schlaff.
Mark Grünthal schloss die Tür und ging zurück zu seinem Schreibtisch. Das war die letzte Patientin für heute gewesen. Mittwochs war sein »Familientag« und die Praxis hatte nur bis sechzehn Uhr geöffnet.
Das Klingeln des Telefons ertönte im gleichen Augenblick, in dem er sich auf seinen Drehstuhl fallen ließ. Mark betrachtete kurz das Display und hob dann ab.
»Hallo, Mark, ich bin’s!« Laras Stimme klang heller als sonst.
»Das habe ich schon an der Nummer gesehen.« Er grinste.
»Ich wollte mich mal wieder melden.«
Na klar. Und du hast auch bestimmt nichts auf dem Herzen. Mark grinste stärker.
»Wie geht es euch?«
»Bei uns ist alles in Ordnung. Joanna kann es kaum erwarten, in die zweite Klasse zu kommen, und Franz wünscht sich, dass die Sommerferien ewig dauern mögen. Aber mit sechzehn ist die Vorfreude auf das kommende Schuljahr wohl eher gering.« Er lachte sein gackerndes Lachen.
»Und Anna?«
»Anna kümmert sich um Haus und Garten, fährt Franz zum Tennis und Joanna zum Schwimmen, kauft ein, kocht, malt ihre
Bilder. Also alles wie immer. Und bei dir?« Mark wusste, dass der Smalltalk zuerst abgearbeitet werden musste, ehe Lara zu ihrem Anliegen kommen würde, also tat er ihr den Gefallen. Nach Laras Ansicht gehörte es sich nämlich nicht, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.
»Mir geht’s auch gut. Wir haben hier unheimlich viel zu tun, aber das ist ja nichts Neues. Mein Hausarzt ist der Meinung, dass ich ab und zu an Unterzuckerung leide, aber das ist auch nichts Neues.« Von ihren einsamen Abenden und Wochenenden erzählte sie Mark nichts.
»Du musst mehr komplexe
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