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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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daher setzte sie noch hinzu: »Danke für das Angebot. Du musst mich aber nicht bedienen.« Sie hasste es, wenn die Männer Isabell als Laufburschen missbrauchten, aber anscheinend hatte diese ihre Rolle schon so verinnerlicht, dass sie gar nicht anders konnte.
    »Na gut. Dann geh ich mal eine rauchen.« Mit gekonntem Hüftschwung stelzte sie hinaus. Seit wann rauchte Isabell eigentlich? Lara zuckte mit den Schultern, rief ihre Dateien auf und bemühte sich, sich auf die Inhalte zu konzentrieren, aber ihre Gedanken schweiften ständig ab. Schließlich gab sie auf. Sie war wohl heute nicht in Stimmung für tragische und trostlose Schicksale. Die Schandtaten des Doktor Schwärzlich saßen ihr noch in den Knochen. Sie konnte sich nicht jeden Tag mit misshandelten Kindern befassen, zwischendurch brauchte ihr Geist auch mal etwas Ruhe und Abwechslung durch ganz alltägliche Themen. Für Donnerstag hatte sie noch einen Termin außer Haus, die Einweihung einer evangelischen Grundschule. Eigentlich nicht ihr Ressort, aber Friedrich hatte sie darum gebeten, weil er zum Zahnarzt musste.

    Um die Neueröffnung des renovierten Stadtbades in Gohlis am Sonnabend »pokerten« sie noch. Keiner hatte bei diesem Wetter Lust, am Wochenende Dienst zu tun. Auch Lara hoffte, dass der Kelch an ihr vorübergehen würde. Berichte über lokale Begebenheiten an Wochenenden wurden sonst meist von den Freien geschrieben. Die fest angestellten Redakteure waren weniger zu Außeneinsätzen an Sonnabenden und Sonntagen unterwegs. Aber momentan war Urlaubszeit und viele der freien Mitarbeiter waren nicht da.
    Mitten in ihre Überlegungen hinein piepte das Handy. Eine SMS. »Kommst du am Sonnabend mit zur Ladies’ Night? Ruf mich an. Doreen.« Und ein tanzender Smiley. Lara grinste. Keine schlechte Idee. Sie packte ihr Telefon und ging nach draußen. Die Nachricht hatte sie an etwas erinnert.
    Im Treppenhaus war es wie immer kühl und dunkel. Aus dem ersten Stock ringelten sich Gesprächsfetzen zu ihr nach oben. Wahrscheinlich hatte die Redaktion vom Stadtanzeiger wieder die Tür geöffnet, um sich Abkühlung zu verschaffen.
    Lara wählte die Nummer von Marks Praxis. Wenn sie Glück hatte, wäre er gerade nicht im Gespräch und die Sprechstundenhilfe konnte sie direkt durchstellen.
    »Hallo, Lara. Schön, deine Stimme zu hören.«
    »Ich freue mich auch. Hast du ein paar Minuten Zeit für mich?«
    »In zehn Minuten kommt ein Patient. Reicht dir das? Wenn es länger dauert, müssten wir heute Abend noch einmal telefonieren.«
    »Das können wir ja immer noch tun.« Lara sah unwillkürlich auf die Uhr. Gleich zehn. Sie holte tief Luft und legte los. »Meine Halluzinationen sind zurück. Ich dachte, diese kurze Sequenz letzte Woche sei nur ein einmaliger ›Ausrutscher‹ gewesen, aber heute Nacht ging es weiter.«
    »Was war es diesmal?« Marks tiefe Stimme klang beruhigend.

    »Worte … Sätze. Etwas in der Art ›Welche Schlampe schmeißt benutzte Taschentücher auf den Boden?‹ und ›Du bleibst hier und kannst etwas dazulernen, bis ich dich wieder abhole‹. Ziemlich unverständlich, nicht?«
    »Hm. Wann ist es aufgetreten?«
    »Mitten in der Nacht. Ich bin davon aufgewacht, aber es war definitiv kein Traum.« Lara schaute über das Geländer nach unten auf die grün-braune Steinrosette im Erdgeschoss. Irgendwo weiter oben brummte eine Fliege. »Mark, ich mache mir Sorgen. Erinnerst du dich an den Fall Mühlmann?« Sie konnte es nicht sehen, wusste aber, dass er nickte. »Damals hatte ich, wie du ja weißt, im Vorfeld auch solche«, sie wusste nicht recht, wie sie sich ausdrücken sollte, »solche Halluzinationen. Ich glaube, sie traten immer zu dem Zeitpunkt auf, als er gerade die Taten verübte.«
    »Ich erinnere mich gut.« Mark dachte kurz nach, ehe er fortfuhr: »Zu gut. Wenn wir das eher in Zusammenhang gebracht hätten  – wer weiß.«
    »Hinterher ist man immer schlauer.« Lara tadelte sich selbst für diese Plattitüde, noch ehe sie ganz ausgesprochen war.
    »Konntest du außer den Worten auch etwas ›sehen‹?«
    »Nein, dieses Mal nicht. Ich habe nur diese herrische Frauenstimme gehört.« Sie seufzte kurz. »Wie immer ist alles sehr vage.«
    Auf Marks Seite knarrte eine Tür. Dann flüsterte eine Frau. Die Sprechstundenhilfe wahrscheinlich. Als er sprach, hatte Marks Stimme einen geschäftsmäßigen Ton. »Wir müssen Schluss machen, Lara. Meine Sprechstunde beginnt gleich. Fass doch bitte alles, was dir bisher aufgefallen ist,

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