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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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auszudrücken. Sie hat ganz schön gegurgelt und geröchelt, als sich der Schal um ihren Hals fester und fester zuzog. Strampeln konnte sie nicht, weil ich sie an eine Sackkarre gefesselt hatte.

    Vorher hat sie mir aber ein paar Namen von Kollegen verraten. Außerdem hat sie mich noch auf etwas anderes aufmerksam gemacht. Von jedem Kind gab es eine Heimakte und ein Dossier, das beim Jugendamt geführt wurde. Vielleicht existieren diese Akten noch …
     
    Wie mein nächtlicher Ausflug endete, kannst Du Dir bestimmt vorstellen. Nach all dem Keuchen und Röcheln kehrte wieder Frieden auf der Lichtung ein. Die Sagorski sah zum Totlachen aus. Wie ein überschminkter Clown, dem eine blauschwarze Zunge aus dem Hals hängt, die hervorquellenden Augen denen eines Chamäleons gleich. Sie war schwer wie ein Zwei-Zentner-Mehlsack. Gut, dass ich die Karre dabeihatte. Der Wald hatte mir schon eine Grube ausgehoben  – ich musste die Überbleibsel bloß noch hineinheben und das Ganze zuschaufeln. Trotzdem war das eine Heidenarbeit. Dafür kann ich mir mindestens zwei Sporteinheiten schenken!
     
    Liebe Mandy, ich hoffe, dies alles erfreut Dich genauso wie mich. Wahrscheinlich fragst Du zum Schluss, wie es nun weitergeht. Ein Instinkt sagt mir, ich solle mich zuerst um Rainer Grünkern kümmern.
    Ach, den Namen habe ich ja noch gar nicht erwähnt! Ich werde vergesslich … Sagt er Dir etwas?
    Grünkern war Heimleiter, bevor die Sagorski kam, also bis 1984. Wie sie erzählt hat, ist er nicht in Rente gegangen, sondern wurde versetzt. Die Frage ist nun: Warum geschah das?
    Wäre er befördert worden, hätte die Sagorski das mit Sicherheit gewusst. Wahrscheinlicher ist deshalb aus meiner Sicht, dass er sich etwas hat zuschulden kommen lassen. Etwas, das auch in der ehemaligen DDR so folgenschwer war, dass man ihn nicht als Heimleiter im ›Ernst Thälmann‹ halten konnte. Siehst Du das nicht auch so, kleine Mandy?

    Sebastian Wallau kann ich leider nicht fragen, denn weil er viel später ins Heim kam, hat er keine Bekanntschaft mehr mit Rainer Grünkern gemacht. Aber es gibt ja noch andere Ehemalige.
     
    Sei also unverzagt, liebes Schwesterherz. Ich werde fleißig sein und Dir weiterhin Bericht erstatten.
    Für heute soll es das gewesen sein. Ich kann es kaum noch erwarten, Dir endlich den ersten dieser Briefe zu schicken.
    Gedulde Dich noch ein kleines bisschen. Es dauert nicht mehr lange, versprochen.
     
    Bis zum nächsten Mal.
    In Liebe,
    Dein Matthias
    Zufrieden faltete Matthias das Papier, strich noch einmal zärtlich darüber und legte den Brief dann in die geschnitzte Schatulle. Es war kurz vor Mitternacht, doch er fühlte sich energiegeladen wie lange nicht. Es ging voran. Sein Blick glitt über die Aufzeichnungen.
– Siegfried Meller: erledigt
– Isolde Semper: erledigt
    Den Vornamen der Heimleiterin hatte er erst am Schluss herausgefunden. In ihrem Ausweis stand »Birgit«. Ein typischer Durchschnittsname der fünfziger Jahre. Er nahm einen schwarzen Fineliner und malte mit kalligrafischer Sorgfalt: »Birgit Sagorski: erledigt« unter die beiden anderen.
    Drei Bestrafte. Gute Arbeit bis jetzt, aber kein Grund, sich auszuruhen.
    Die Aufzeichnungen seiner nächtlichen Befragung waren
nicht so gestochen scharf, eher hastig hingeworfene Buchstaben. Matthias legte das Notizbuch neben seine Arbeitsmappe, stützte die Stirn mit den Fingerspitzen ab und fixierte die Namen, die die ehemalige Heimleiterin genannt hatte.
    Dazu die, die er schon kannte. So viele Erzieher. Aber manche von ihnen waren nicht lange da gewesen, ein halbes Jahr, ein ganzes, dann waren sie weggezogen oder hatten den Arbeitsplatz gewechselt, er wusste es nicht. Andere dagegen blieben ewig. Das waren die, denen die Atmosphäre in diesem Kinderheim behagte; die, die schnell merkten, dass die Verhältnisse dort ihren persönlichen Vorlieben entgegenkamen. Matthias begann, sich Stirn und Schläfen zu massieren, während er weiter auf die Wörter starrte und auf Bilder in seinem Kopf wartete, Erinnerungen, die ihm etwas über das Verhalten dieser Erzieher verrieten.
    Von Sebastian Wallau hatte er zusätzlich den Namen Arnold Festmann bekommen. Festmann war Sebastians persönlicher Betreuer gewesen. Matthias konnte sich nicht an einen Erzieher dieses Namens entsinnen, aber was bedeutete das schon. Viel wichtiger war, dass er selbst auch einen persönlichen Betreuer gehabt haben musste. Wer von ihnen war es gewesen? Mann oder Frau? Noch einmal glitt sein

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