Sensenmann
roten Umrandung. »Achtung, Kinder«. Es war erst kürzlich aufgestellt worden. Das Piktogramm mit den beiden
schwarzen Strichmännchen stand sinnbildlich für die Kinder, die ab nächster Woche hier die Straße überqueren würden. Wieso wurde die evangelische Grundschule eigentlich an einem Donnerstag eingeweiht? Sie parkte ihren gelben Mini neben einem dicken schwarzen Volvo und überprüfte ihre Ausrüstung. Ein Kleinbus bog in den Schulhof ein und hinterließ zwei Staubfahnen. Nur langsam legte sich der helle Nebel wieder. Lara nahm ihre Tasche und folgte dem Transporter. Einzelne Töne einer Trompete durchstießen die Luft. Noch ehe sie um die Ecke bog, hörte sie aufgeregte Kinderstimmen.
Auf dem Schulhof hatten sich mindestens hundert Menschen versammelt. Neben dem Hintereingang war eine kleine Bühne errichtet worden, auf der sich gerade etwa zwanzig Kinder postierten. Eine mütterlich wirkende Lehrerin stand vor ihnen und gestikulierte temperamentvoll. Neben dem Podest wartete das Blasorchester der freiwilligen Feuerwehr auf seinen Einsatz. Die Instrumente glänzten in der Sonne.
»Hallo, Lara!« Ein leichter Klaps auf ihre Schulter begleitete die Worte. Lara drehte sich um. Frank Schweizer von der Tagespost grinste, dass sein Schnurrbart wackelte. » Du berichtest über die Eröffnung?«
»Wie du siehst.« Sie erwiderte die Begrüßung mit einem Knuff gegen seinen Oberarm.
»Sollte nicht Friedrich Westermann hier sein?« Frank grinste immer noch und knipste dabei unentwegt.
»Der hat einen Zahnarzttermin.« Lara fragte sich, wo ihr bestellter Fotograf blieb. Der Kinderchor sang zur Einstimmung ein paar Tonfolgen. Friedrich hatte Rolf Martin bestellt. Jo wäre ihr persönlich lieber gewesen, aber Jo hatte keine Zeit gehabt. Rolf war nicht immer der Zuverlässigste. Und sie hatte keinen Fotoapparat mit. Lara hasste es, selbst Bilder zu machen. Erstens fehlte ihr dafür die Ausrüstung, zweitens entsprachen die Fotos in ihrer Qualität nie dem, was Hampenmann sich vorstellte. Und drittens
konnte sie sich dann nicht auf ihre Reportage konzentrieren. Mitten in ihre Gedanken hinein schmetterte das Blasorchester einen Tusch. Voller Inbrunst malträtierten die jungen Leute ihre Instrumente. Frank Schweizer verzog das Gesicht. Sagen konnte er nichts, weil das Getöse der Trompeten, Hörner, Posaunen und Tuben alles überschallte.
Nachdem das enthusiastische Klatschen der Zuhörer verklungen war, kündigte die mütterliche Lehrerin mehrere offizielle Gäste mit Grußworten an, und Lara machte sich eine Notiz, die Schreibweise der Namen und die Dienstbezeichnungen nachzufragen. Rolf Martin war noch immer nicht da. Ein grauhaariger Mann im Anzug betrat die Bühne und begann mit einer Rede. Frank Schweizer stupste Lara in die Seite und machte ihr ein Zeichen, ihm zu folgen. Vorsichtig bahnten sie sich einen Weg durch die Menschen bis in den Schatten eines übermächtigen weißen Zeltes, neben dem schon ein monströser Würstchengrill rauchte.
»Ich habe dich am Dienstagabend im Lindencafé gesehen!« Franks Schnurrbart wellte sich mitsamt seinen Mundwinkeln nach oben. »Mit Kriminalobermeister Schädlich.« In seinen Augen glitzerten Lachfünkchen.
»Oh … Das war dienstlich.«
»Ah, ja. Verstehe.«
»Nichts verstehst du. Schädlich hat mich angerufen. Wir haben einen aktuellen Fall besprochen. Mehr nicht.« Das musste reichen. Lara hatte keine Lust, dem Kollegen Details zu erzählen. Und letztendlich war es dienstlich gewesen. Schädlich hatte am Telefon angeboten, ihr bei einem Treffen unter dem Siegel der Verschwiegenheit die aktuellen Ermittlungsergebnisse im Fall der Plattenbauleiche zu verraten. Etwas aufregend Neues war jedoch nicht dabei gewesen. Die Kripo hatte inzwischen ermittelt, wer der Tote gewesen war: ein Rentner namens Siegfried Meller aus Wurzen. Die DNA-Spuren waren immer noch nicht vollständig
ausgewertet. Ein Motiv für die Tat hatten sie angeblich auch noch nicht.
Lara hatte sich bei der Verabschiedung gefragt, warum der Kriminalobermeister sie überhaupt angerufen hatte. Wegen der Informationen konnte es nicht gewesen sein. Die waren wertlos, der Fall schon über zwei Wochen alt. Wahrscheinlich hatte Schädlich nur einen Vorwand gesucht, um sich mit ihr zu verabreden. Das nächste Mal würde sie nicht darauf hereinfallen.
Wahrscheinlich würde Ralf Schädlich sie jetzt ohnehin nicht mehr anrufen, um ihr vertrauliche Informationen zukommen zu lassen, aber damit konnte sie leben. Der
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