Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
handelte sich um den Kadaver selbst, der wieder zum Leben erwachte. Doch wir irrten. Es befand sich etwas in seinem Inneren, das den Weg nach außen suchte. Der Embryo fraß sich in erstaunlich kurzer Zeit wortwörtlich ans Tageslicht und ehe wir genau wussten, was sich abspielte, saß er direkt vor unseren Augen, eine exakte verkleinerte Kopie des Muttertieres. Nur entsprechend lebendiger. Sehr lebendig wie sich herausstellte. Glücklicherweise hatten wir Sicherheitsvorkehrungen getroffen und machten das Wesen unschädlich, bevor es Schaden anrichten konnte. Es bedurfte einiger wuchtiger Stockhiebe, den neugeborenen Winzling totzukriegen. Selbst danach zuckte der zerschlagene Körper noch minutenlang weiter. Doch das Beunruhigendste waren die Schreie. Ich hätte niemals vermutet, dass ein Wesen von dieser geringen Größe solche Laute ausstoßen könnte. Unheimlich. Mit nichts zu vergleichen...“
Avalea sah plötzlich durch mich hindurch. Die Erinnerung an dieses Erlebnis hielt sie für einen Augenblick gefangen. Endlich schüttelte sie sacht den Kopf, als wollte sie sich damit von der Erinnerung an diesen beklemmenden Moment freimachen.
„Die beiden Kadaver wurden verbrannt und die Asche ins Meer gestreut“, schloss sie. „Seitdem sind uns glücklicherweise Begegnungen mit diesen Wesen erspart geblieben.“
„Wie lange liegt diese Begegnung zurück?“ fragte ich.
„Sehr lange, schon viele Jahrzehn…, schon viele Jahre.“
Hatte sie Jahrzehnte sagen wollen?
Ich hakte nicht nach, zumal das Thema Mithankor für sie erledigt schien. Schade, gerne hätte ich mehr erfahren. Zumindest verfügte ich nun über ein etwas genaueres Bild. Es handelte sich also nicht um blutrünstige Monster vom Kaliber eines Opreju, sondern eher um kleinwüchsige Jäger, die in Gruppen oder Rudeln auftraten. Meine Gedanken kehrten zu Rob zurück, der sich mutterseelenallein durch Laurussia kämpfte, womöglich durch diese dunklen Wälder, in denen am Ende Mithankor ihr Unwesen trieben. Ich musste ihn finden! So schnell wie möglich!
Avalea blickte mich an.
„Was sucht dein Bruder eigentlich am Taorsee? Dorthin zu wollen ist schon ein Irrsinn für sich alleine, es auf eigene Faust zu tun, grenzt an Selbstmord.“
Ich bemerkte, auf diese Frage keine Antwort zu wissen. Nicht einmal für mich. Und schon gar nicht für diese unergründliche Frau aus Hyperion oder Basturin oder wie immer sie diesen gottverdammten Schutthaufen nannten.
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung.“ Mit soviel Offenheit in meiner Stimme hoffte ich, sie überzeugt zu haben. „Aber sag, wie verhält es sich mit den Opreju? Wir reisen nun schon seit einiger Zeit durch Laurussia, aber gesehen haben wir bisher noch keinen einzigen.“
Sie sah mich einen Moment zögerlich an, als überlegte sie sich ihre nächsten Worte genau.
„Und das wundert dich?“
„Natürlich. Immerhin befinden wir uns auf ihrem Gebiet.“
Ein amüsiertes Lächeln stahl sich in Avaleas Züge.
„Glaubt mir, wenn dies das Gebiet der Opreju wäre, hättet ihr es niemals bis hierher geschafft.“
Wir Männer sahen uns überrascht an. Das waren unerwartete Neuigkeiten... nun ja, vielleicht nicht gänzlich unerwartet. Seit wir den Skelettfluss überquert und damit das Tabu gebrochen hatten, waren wir eigentlich in ständiger Erwartung gewesen, auf diese sagenumwobene Spezies zu treffen. Eine Annahme, die sich bis heute nicht bestätigt hatte. Sollte sich unser anfänglicher Verdacht in der Tat bewahrheiten?
„Willst du damit sagen, es gibt hier gar keine Opreju mehr?“
„Würden wir sonst hier existieren können?“
Damit bestätigte sie indirekt, was wir schon lange vermuteten. Das Tabu war nichts weiter als eine Farce, ein Relikt aus längst vergangener Zeit.
Die Wahrheit berührte mich dennoch nachhaltiger als erwartet. Ums weitere Mal brach ein großes Stück des Weltbildes weg, das mir seit ich denken konnte vermittelt worden war. Bald gab es nichts mehr, an was ich meinen Glauben an das alte Avenor aufhängen konnte. Alles nur Irreführungen, Täuschungen, Unehrlichkeiten. Die Aufzeichnungen von Radan dagegen entsprachen der Wahrheit, daran gab es wohl nicht den geringsten Zweifel mehr.
Ich hörte das Blut in den Ohren rauschen, als ich zu akzeptieren begann, was nicht mehr von der Hand zu weisen war. Plötzlich drehte sich mir der Kopf, und ich sank langsam in meinen Stuhl zurück.
Krister sah mich prüfend an. Las ich Besorgnis in seinen Augen? Fürchtete er, dass
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