Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
zu verstehen, dass er mit sich selbst sprach. Seine Art, die jüngsten Ereignisse zu verarbeiten, verursachte Unwohlsein. Warum schwieg er nicht? Und was war verdammt nochmal geschehen? Wie gerne hätte ich ihn beruhigt, den Arm um ihn gelegt. Doch ich fühlte mich zu schwach, auch nur einen Finger zu rühren. Den roten Fleck auf der Bandage gebannt begutachtend, versuchte ich mir auszumalen, wie die Wunde darunter aussah. Außer pulsierendem Pochen spürte ich nichts.
„Die soll sich nochmal hier blicken lassen! Dann werde ich...“ Luke verstummte mitten im Satz. Unheilvolle Stille folgte.
„Wer ist da?“ hörte ich ihn plötzlich rufen. Seine Stimme zitterte. Mir gelang es, den Kopf zur Seite zu drehen. Luke versperrte mit seinem Körper den Zugang zum Lager. In der rechten Hand hielt er stoßbereit seinen Dolch. Klinge nach unten. Wie oft hatte ich ihm schon gesagt, die Waffe niemals so zu halten?
„Krister, du bist es!“ Der Junge entspannte von einer Sekunde auf die andere. Aus den Augenwinkeln machte ich die Umrisse meines besten Freundes aus. Er bemerkte sofort, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.
„Was ist geschehen?“ fragte er alarmiert.
„Wo warst du?“ Vorwurf pur in Lukes sich überschlagender Stimme. „Stell dir vor, sie wollte ihn töten!“
„Töten? Wer wollte wen töten?“ Als Krister mich auf dem Boden liegen sah, ließ er seinen stolzen Fang achtlos in den Sand fallen, stürzte auf mich zu und kam kniend neben mir zur Ruhe. Sein erschütterter Blick fiel auf den Verband. „Was ist hier vorgefallen? Jack, hörst du mich?“
Ich bewegte den Kopf langsam auf und ab. Der Versuch, ihm beruhigend zuzulächeln, scheiterte im Ansatz.
„Sie hat ihn umbringen wollen“, wiederholte Luke kläglich. „Zum Glück war ich in der Nähe und konnte sie daran hindern.“
Krister sah ihn verständnislos an.
„Was redest du da für wirres Zeug?“
„Wirres Zeug?“ erwiderte Luke entrüstet. „Hörst du nicht, was ich sage? Diese... diese wahnsinnige Skiava war drauf und dran, Jack zu töten.“
„Wie schwer ist er verletzt? Wer hat den Verband angelegt?“
„Ich natürlich, wer sonst? Deine Avalea ist auf und davon.“
Deine
Avalea...
Kristers unangenehmste Gedanken jagten einander, doch ignorierte er sie so gut als möglich. „Jack, wie geht es dir? Hast du Schmerzen?“
Ich nahm alle Kraft zusammen und brachte zwei gestammelte Worte hervor: „Alles… gut…“
„Sieht schlimmer aus als es ist“, beruhigte Luke ihn. „Nur eine Fleischwunde. Wenn ich diese Irre nicht zurückgezogen hätte, nicht auszudenken, was passiert wäre!“
„Jetzt mal der Reihe nach! Sag in ein paar Sätzen, was sich ereignet hat! Warum wollte Avalea Jack töten? Das gibt keinen Sinn!“
„Das sagst du mir? Ich begreife es auch nicht. Aber es hat stattgefunden. Ich half Jack beim Floßbau und machte mich dann auf die Suche nach Mehlwurzeln, für das Abendessen. Wie auch immer, auf jeden Fall stellte ich fest, meinen Dolch vergessen zu haben. Unbewaffnet losziehen wollte ich aber nicht. Also kam ich zurück. Gerade rechtzeitig. Es sah so aus, als hätten Jack und Avalea Streit. Sie standen einander gegenüber wie Kontrahenten. Ich war völlig überrascht und blieb in einiger Entfernung stehen, um zu sehen, was sich abspielte. Plötzlich zog sie ihr Messer und stach auf ihn ein. Ich sprang sie von hinten an und zerrte sie von ihm weg. Wie eine Wahnsinnige wand sie sich in meinem Griff, mit einer Kraft, die ich ihr nie zugetraut hätte. Verstehst du, ich war unbewaffnet. Ich ließ sie natürlich los. Sie rannte weg, einfach hinein in den Wald.“
Krister hörte alles genau, aber er traute seinen Ohren kaum. Avalea hatte Jack umbringen wollen! Es klang zu phantastisch, zu bizarr.
Die Erinnerung an das verdrängte Misstrauen ihr gegenüber kämpfte sich machtvoll an die Oberfläche. Zum ersten Mal ließ er die siedend heiße Gewissheit zu. War es das, was ihn die Barriere zwischen ihm und ihr spüren ließ? Hatte sie sich sein Vertrauen erschlichen, indem sie vorgetäuscht hatte, etwas für ihn zu empfinden? War es ihr tatsächlich gelungen, ihn auf die durchsichtigste Art und Weise hinters Licht zu führen und ruhig zu stellen? Wenn ja, es war bestens gelungen.
Glühende Flammen loderten in seiner Körpermitte. Entsetzen wandelte sich in Enttäuschung. Enttäuschung in Wut. Tränen, in Zorn geboren, wellten in den Augen, als er sich selbst anklagte. Es tat in diesem Moment mehr weh als aller
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