Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
finsterer. Sie sind nie fassbar, zu keiner Zeit erklärbar oder logisch gewesen, wiesen aber dennoch eine wenn auch wenig definierbare Grundstruktur auf, ähnlich einem Kehrreim, auf dessen Wiederholung man vertrauen durfte. Diese Komponente verschwand, ohne dass ich es zunächst wahrnahm, wie eine Melodie, die sich kaum spürbar allmählich wandelt. Erst mit der Zeit nahmen die Abweichungen Gestalt an. Unterbewusst. Daher noch verwirrender.
Vor Hyperion hatte ich das Gefühl, als leiteten mich die nächtlichen Heimsuchungen in eine gewisse Richtung. Mit Avaleas Erscheinen, mit dem Entschluss, nach Angmassab aufzubrechen, setzten diese Veränderungen ein. Die Vorgabe einer Richtung war nicht mehr nötig. Wer oder was mich auf dieses Ziel angesetzt hatte, es war ihm oder ihr bestens gelungen. Mehrfach erschien es mir seitdem, als hätte sich der Anlass für die immer wiederkehrenden Alpträume gewandelt. Sie mussten keine Zielangaben mehr suggerieren. Stattdessen schwang in ihnen nun ein alarmierender Unterton mit, die geschickt versteckte Andeutung einer Warnung, welche sich bisher noch nicht klar artikuliert hatte.
Seit ich den Sentry in mir wusste, bekam ich das Gefühl nicht mehr los, in der Gemeinschaft meiner Freunde erhöhtem Risiko ausgesetzt zu sein. Anfangs hatte ich mich gegen diese absurde Vorstellung gewehrt. Nun war es nicht mehr von der Hand weisen. Trotzdem konnte und wollte ich die Warnungen nicht an der Person Avaleas festmachen. Wenn sie Böses im Schilde führte, uns nicht wohlgesonnen wäre, hätte sie von Anfang an jede Möglichkeit gehabt, uns aus dem Weg zu räumen. Das Gegenteil war der Fall. Ohne ihre Hilfe, und davon war ich überzeugt, hätten wir den Taorsee niemals erreicht. Wir mussten ihr dankbar sein. Und dennoch, in der Tiefe meines Inneren, warnte jene schwache, kaum wahrnehmbare Stimme vor ihr, eine Stimme, die in den letzten Tagen an Intensität gewonnen hatte.
Die Stimme des Sentrys...
Mir fiel es wie Schuppen von den Augen.
Aufgeregt hielt ich inne. Plötzlich war ich überzeugt. Er kommunizierte mit mir. Er flüsterte Warnungen zu. Und das nicht erst seit kurzem. Gestern Nacht, so nahe am Ziel der Reise zum ersten Mal von Robs Tod geträumt zu haben, deutete ich jetzt als seine Mahnung, alle Sinne zu schärfen, Augen und Ohren weit offen zu halten. Veränderung lag in der Luft. Ich hoffte inständig, nicht zu spät zu kommen. Die eigenartige Stimmung im Lager, Kristers defensives Verhalten, Avaleas Schweigsamkeit, all das lenkte zu sehr von meiner Hauptaufgabe ab. Es musste geklärt werden, bevor wir uns auf den Weg zur Feuerinsel machten. Sollte ich die Ahnung nicht beseitigen können, die Gemeinschaft wäre gespalten, würde ich den letzten Teil der Reise alleine antreten. Alle Kräfte mussten sich von nun an auf Rob konzentrieren, auf Disharmonien untereinander konnte ich nicht im Mindesten Rücksicht nehmen.
Mein Argwohn Avalea gegenüber brach sich Bahn wie nie zuvor. Erstmals schenkte ich dem Sentry ein gewisses Maß an Vertrauen. Er musste es bemerkt haben, befreites Lächeln schwang durch mein Inneres, was ich auf sein Wirken zurückführte. Euphorie überkam mich in Form eines Energieschubs, der mir für einen Moment den Glauben verlieh, übermächtig zu sein. Es war überwältigend. Sehr bald schon, so spürte ich es, würde alles anders sein, nichts mehr so, wie es einmal war.
Noch ganz ergriffen von der Veränderung tief in mir bemerkte ich aus den Augenwinkeln, wie sich Avalea näherte. In meiner Körpermitte zog sich etwas zusammen. Sie mit beiden Augen fest fixierend richtete ich mich zu ganzer Größe auf. Mein Herz begann zu hämmern, als stünde ich wieder vor den drei Opreju, wissend, keinen Ausweg mehr zu haben. Mit jedem Schritt, den die Skiava nähertkam, verstärkte sich die innere Anspannung. Ein Rauschen ging durch meine Ohren, als sie mich anblickte. In ihren Augen las ich Zwiespältigkeit, ja tiefe Zerrissenheit. Dann, von einem Moment auf den anderen, lag nur noch Entschlossenheit in ihnen. Ihr Blick erhärtete. Sie blieb stehen, behielt einige Meter Abstand. Wir starrten einander an, als sähen wir uns zum ersten Mal. Womöglich war es auch so. Endlich empfand ich sie ohne eine ihrer unzähligen Masken, die sie zu tragen pflegte, sah ich sie so, wie sie wirklich war. Der Sentry verlieh mir die Macht, in sie hineinzublicken. Was ich sah, gefiel mir wenig.
„Wer bist du?“ fragte ich.
Sie erwiderte meinen festen Blick ohne mit einer Wimper
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