Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
mehr mit diesen Wesen in Berührung gekommen. Womöglich gab es die Opreju, die für mich gewissermaßen ins Reich der Phantasie gehörten, gar nicht mehr. Vielleicht hatten sie sich schon vor hundert Jahren gegenseitig ausgerottet, und wir Menschen fürchteten uns trotzdem noch immer vor ihnen, ängstigten uns möglicherweise nur noch vor der eigenen Unwissenheit. Genauer darüber nachdenkend empfand ich es plötzlich als eine Art Berufung, herauszufinden, ob es nicht an der Zeit war, mit uralten Verboten und Tabus aufzuräumen.
Krister stand sofort auf meiner Seite, eine Tatsache, die mich mächtig freute. Er war mit Sicherheit kein Fantast, dennoch glaubte auch er an einen Zusammenhang zwischen Robs Verschwinden und meinen nächtlichen Heimsuchungen. Meinen Verdacht teilte er rückhaltlos. Oder war es die reine Abenteuerlust, war es das Wissen, eine wenn auch schwache Legitimation in den Händen zu halten, das alte Tabu zu brechen?
Sein Vorschlag, das Boot zu nehmen, um mit dessen Hilfe Hyperion anzusteuern, erschien mir erstklassig. Die Reise über die Tethys würde uns bei gutem Wetter und günstigem Wind den beschwerlichen Fußmarsch durch ganz Aotearoa ersparen und darüber hinaus viele Tage an Zeitgewinn bringen. Zwar hing unsere wirtschaftliche Existenz mitnichten vom Fischfang ab, mir war dennoch nicht wohl bei dem Gedanken, das Boot meines Vaters für dieses Vorhaben zu „borgen“, wie Krister es nannte. Natürlich konnte man das Ganze auch aus anderem Blickwinkel betrachten. Mit Robs und meinem Ausscheiden gab es in der Familie niemanden mehr, der Fischfang betrieb, demzufolge auch der Kahn dem Vater keinen Nutzen brachte. Dennoch, irgendetwas störte mich an all dem. Ich konnte das Boot nicht ohne Erlaubnis entwenden, es käme mir wie Diebstahl vor.
„Das ist Blödsinn“, hielt mir Krister sogleich entgegen. „Er bekommt es doch wieder zurück. Es steht ihm nur für einen gewissen Zeitraum nicht zur Verfügung.“
„Ich kann das nicht verantworten.“
„Und was ist mit Rob? Mit jedem Tag den wir warten, werden die Chancen geringer ihn einzuholen. Kannst du das verantworten?“
Ich blickte meinen guten Freund unverwandt an. Seine kühlen blauen Augen waren eindringlich auf mich gerichtet. Er machte es mir nicht leichter, wenn er mich vor die Wahl stellte, zwischen Rob und meinem Vater zu entscheiden.
„Aber wenn es dich beruhigt, kann ich dafür sorgen, dass das Boot nach unserer Ankunft in Hyperion sofort wieder zurücksegelt“, fügte er hinzu. „Das würde für deinen Vater nur einen Ausfall von drei Wochen bedeuten. Vielleicht sogar weniger.“
Das hieße, eine vierte Person einzuweihen, etwas, das ich unter allen Umständen vermeiden wollte.
„Und an wen denkst du?“ fragte ich ihn betont nebensächlich. Ich war sicher, er meinte Scott Adair.
„An Luke natürlich.“
„Wie bitte?“ Er hatte mich überrascht. Einen Taubstummen ins Vertrauen zu ziehen, hätte ich mir vielleicht noch gefallen lassen. Aber Luke? „Dir scheint nicht ganz klar zu sein, was vor uns liegt. Wir können uns keinesfalls noch mit deinem kleinen Brüderchen belasten.“
„Jetzt hör mal zu, Jack! Mir ist sehr wohl bewusst, auf was wir uns einlassen. Luke ist ein hervorragender Bootsmann, er weiß sehr wohl, wie er mit einem Segler umzugehen hat. Wir reisen zu dritt bis nach Hyperion, wo wir von Bord gehen. Luke wird dann alleine wieder zurücksegeln. Ich sehe da nicht das geringste Problem. Wir erreichen Hyperion in Rekordzeit, und das Boot steht deinem Vater in ebensolcher wieder zur Verfügung. Wenn wir Rob gefunden haben, kehren wir auf dem Landweg zurück.“
„Krister, das ist kein Abenteuerausflug an die December Bay. Auf den Seeweg nach Laurussia haben sich meines Wissens die letzten fünfzig Jahre keine Menschen mehr gewagt, jedenfalls keiner aus Stoney Creek. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich mir selbst eine gefährliche Reise wie diese zutrauen darf. Eines aber weiß ich ganz genau: mit deinem kleinen Bruder im Schlepptau darf ich es ganz gewiss nicht.“
„Woher willst du das wissen?“ warf mir Krister entgegen. Ich wollte sofort etwas erwidern, doch unterbrach er mich mit einer unwirschen Handbewegung.
„Du kannst das Boot natürlich auch irgendwo in der Hyperion Bay zurücklassen und hoffen, es irgendwann später wieder intakt vorzufinden, falls wir jemals wieder dorthin zurückkehren.“
Ich sagte nichts. Krister spürte meine Unentschlossenheit und fuhr mit versöhnlicher
Weitere Kostenlose Bücher