Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
der Erkenntnis gewähren.
Erst Rob.
Dann Avalea.
Jetzt Luke.
Was galt es noch alles hinzunehmen? Wieviel Leid konnte ein Mensch ertragen, bevor er daran zugrunde ging? Teile von mir fühlten sich bereits taub und abgestorben an. Die noch künstlich unter Verschluss gehaltene Trauer um meinen toten Bruder erfuhr durch Lukes Schicksal einen schier unbändigen Impuls, auszubrechen. Wenn dies jetzt passierte, das spürte ich, brauchte ich keinen Meter mehr weiterzugehen. Dann konnte ich mich an Ort und Stelle niederlassen und auf den Tod warten, in welcher Form auch immer er mich zu holen gedachte.
Sämtliche weiteren Gedankengänge verdrängend ging ich ohne ein weiteres Wort los, ließ Krister einfach stehen. Mochte er mir folgen oder nicht. Ich zwang mich, einzig und allein an den Tunnel unter dem See zu denken.
Aus den Augenwinkeln nahm ich unser immer noch am Ufer liegendes Floß wahr. Es lag weiterhin da, als wäre nichts geschehen. Warum hatte es niemand zur Flucht genutzt? Sicherlich waren wir nicht die einzigen, die von der Feuerinsel herunter wollten.
Hatten all die Skiavos den unterirdischen Tunnel genutzt?
Die Antwort darauf bekam ich beim Blick hinunter in den Treppenschacht, den Weg, den Rob genommen hatte, um in die Freiheit zu gelangen. Keine Spur mehr von den Stufen, die nach unten führten. Bis zum oberen Rand des Schachts stand nun Wasser. Der leblose Körper eines grausam verstümmelten Skiavos trieb bewegungslos mit dem Kopf nach unten an der Oberfläche. Ihm fehlte der rechte Arm. Bei genauerem Hinsehen war vom linken auch nicht mehr viel übrig. Würde an seiner statt ein toter Fisch dort getrieben haben, es hätte mich nicht weniger berührt.
Nüchtern zählte ich eins und eins zusammen. Der Gang unter dem See war nicht mehr. Die Verwerfungen des Erdbebens mussten ihn geflutet haben. Wer auch immer diesen Fluchtweg gewählt hatte, war in sein Verderben gelaufen. Der tote Skiavo stellte den sicheren Beweis dar. Wieviele seiner Art unter dem Seebett ihr nasses Grab gefunden hatten, ließ sich nur ahnen. Endlich wandte ich mich ab.
„Hier geht es nicht mehr weiter“, eröffnete ich Krister, der neben mir stand und noch immer in den Schacht blickte, der nun einem Brunnen ähnlicher sah als einem Fluchtweg.
„Dann nehmen wir eben das Floß. Zum Glück haben wir diese Wahl.“
Behutsam legten wir Luke auf dem wankenden Gefährt ab, als bestünde er aus Glas. Mit jedem Meter, den wir uns von der dem Untergang geweihten Insel entfernten, fiel die Anspannung von mir. Unheilvolles Vakuum entstand, das sich schneller als befürchtet mit lähmendem Gedankengut füllte. Ich wusste nicht, wieso ich überhaupt noch ruderte, trotzdem tat ich es, abgestumpft, mechanisch, steril. Warum ließ ich das verdammte Paddel nicht los, warum es nicht einfach in den See werfen und mich gleich noch dazu?
Mit der zunehmenden Finsternis, die Tauri mit sich brachte, legte sich pechschwarze Dunkelheit auf mein Gemüt. Alles was hatte schief gehen können, war schiefgegangen.
Rob war tot.
Avalea war tot.
Die grinsende Fratze des schwarzen Knochenmannes schwebte über Luke, die Sense im Anschlag, bereit zuzuschlagen. Ich wollte heulen, all die schmerzende Trauer, die Wut und den Hass auf mich selbst herausschreien, der mir die Luft zum Atmen abschnürte. Doch es ging nicht. Ich kniete da und paddelte. Mein Körper, der allem Anschein nach wieder mir allein gehörte, funktionierte wie ein Uhrwerk. Der Geist indessen, die geschundene Seele, befand sich meilenweit entfernt an einem imaginären Ort, der keine Heilung versprach. Was vor mir lag, interessierte mich momentan keinen Lidschlag lang. Die Welt, in die ich zurückkehren sollte, bedeutete nichts mehr.
Und immer wieder die gleiche Frage: Wieso hatte Rob vollbracht, was eigentlich meine Aufgabe gewesen wäre?
Ich starrte ins Leere, wieder und wieder liefen Robs letzte Sekunden vor meinen Augen ab, den Ithronn in den Leib des Ar-Nhim Ghaia schleudernd, sein ersterbender Schrei, als die Bestie ihn im letzten Augenblick ihrer unseligen Existenz in den Tod riss. Mit tonloser Stimme ließ ich es endlich heraus.
„Rob war auch auf der Insel.“
Krister stellte umgehend das Paddeln ein und sah mich bestürzt von der Seite an. Der fassungslose Ausdruck in meinen Zügen hinderte ihn daran, seine Ahnung in Worte zu fassen.
„Wo ist er?“ fragte er stattdessen, die Antwort sichtlich fürchtend.
„Er hat sich für mich geopfert. Krister, er ist tot! Rob ist
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