Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
augenblicklich alles.
Gerade als ich ihm dies mitzuteilen versuchte, ging ein Grollen los, das aus den Tiefen des Taorsees aufstieg. Wir erstarrten in der Bewegung und sahen verstört um uns. Das unterseeische Donnern nahm zu. Es erinnerte an aufziehendes Gewitter, nur gedämpfter. Und es rührte nicht vom Himmel her. Der Anflug von Furcht vor dem, was sich anbahnte, nährte schwache Hoffnung, noch nicht abgestorben zu sein, noch am Fluss des Lebens teilzuhaben. Das Dröhnen ließ rasch wieder nach und verklang, als wäre es nie gewesen.
Wir begannen erneut zu rudern. Unser Ziel, die Lücke des Gebirgsringes, lag sichtbar vor uns, wenn auch noch ein gutes Stück entfernt. Der Gedanke, Land zu erreichen, wurde nun zu meinem ganz persönlichen Mantra. Ich tat es weniger für mich als für Rob, der mit Gewissheit gewollt hätte, dass ich weiterlebte. Ich widmete dieses Ziel meinem unglücklichen Bruder, der für mich gestorben war. Es galt zudem, Luke an Land zu bringen, zu einem Medikus, egal wie aussichtslos es erschien, einen zu finden. Und da war auch noch Sava, waren unsere Familien, die Menschen in Aotearoa, unserer bedrohten Heimat. Noch war nicht alles verloren, nicht solange noch ein Funken Leben in mir flackerte. Es wäre Verrat an den Opfern gewesen, welche Rob, Luke und letzten Endes auch Avalea zu geben bereit waren.
Im Verlauf der nächsten Minuten kehrte das Grollen in immer kürzeren Abständen wieder, nahm die nicht greifbare Bedrohung zu. Einmal schien es, als vibrierte die Wasseroberfläche des gesamten Sees. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis das Unfassbare eintreten würde.
Wir erreichten endlich mit zur Neige gehenden Kräften den Abfluss des Taorsees, den Geburtsort des Taorflusses. Wenig Beachtung schenkte ich der wunderschönen Natur, die sich um uns herum auftat, den grünen, dicht bewachsenen Berghängen, die sanft abfallend direkt in den See eintauchten, welcher sich mehr und mehr zu einem Fluss verjüngte. Tausende von kreischenden Vögeln zogen unruhig ihre Kreise hoch über uns. Sie schienen die bevorstehende Naturkatastrophe ebenso zu spüren wie wir.
Die Strömung nahm merklich zu, das Floß beschleunigte. Kein Wunder. Ungeheure Mengen Wasser drängten hier an dieser schmalen Rinne zusammen, bildeten Strudel, formten Stromschnellen, konnten es nicht erwarten, den See hinter sich zu lassen und als Teil des Taorflusses die weite Wanderung nach Norden anzutreten, um Hunderte von Meilen später in der salzigen Tethys aufzugehen.
Das kleine Floß trieb wie verloren dahin und drehte sich bisweilen um seine eigene Achse. Mit den beiden Paddeln gelang es uns, gefährliche Stromschnellen zu umschiffen oder aus dem Wasser ragenden Felsblöcken auszuweichen. Zu keiner Zeit war junge Taor reißend, anhaltend aggressiv oder stellte uns vor navigatorische Drahtseilakte. Mit zunehmender Fahrt verbreiterte er sich weitläufig. wurde zahmer und gelassener als erwartet.
„Avalea hatte Recht“, meldete sich Krister nach langem Schweigen zu Wort. Jeder war eigenen Gedanken nachgehangen oder mit Manövrieren beschäftigt gewesen. Nun, da der Taor sich ganz und gar von seiner angenehmen Seite zeigte, konnten wir die Weiterfahrt einigermaßen gelassen dem Tempo des Flusses überlassen.
„Womit?“
„Mit ihrer Äußerung, der Taor sei jetzt in der Trockenzeit gut befahrbar.“
„In der Tat“, pflichtete ich bei. Zum wiederholten Male stellte ich mir die Frage, wie weit wir ohne ihre Hilfe gekommen wären. Ob wir unser Ziel jemals erreicht hätten? Ihren Versuch mich zu töten ausgenommen (aus der Retrospektive betrachtet eine durchaus verständliche Absicht) hatte sie stets auf unserer Seite gestanden.
Nun war sie tot.
Ein Jahrhunderte dauerndes Leben ganz und gar sinnlos ausgelöscht.
Welch Tragik, ein Alter wie dieses zu erreichen, um von einer banalen Lanze ins Jenseits befördert zu werden. Ob sie sich ihr Ende, das sie nach eigenen Worten mehr als nur einmal selbst herbeiführen wollte, so vorgestellt hatte?
Erstmals fand ich genügend Kraft, ihrer zu gedenken. Doch tat es mir nicht wohl. Es brachte mich zurück auf die Straße des Leids, führte mir erneut Robs Ableben vor Augen.
„Wer auch immer sie war, am Ende ist sie eine Freundin gewesen. Warum sie zum Schluss die Seiten wechselte, werden wir wohl nie erfahren.“
Krister blickte zu mir herüber. Er wollte etwas sagen, doch mussten wir tückischen Felsblöcken ausweichen, welche sich knapp unterhalb der Wasseroberfläche
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