Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
eine Brücke über den Algon eingezeichnet.“
„Was redest du denn da?“ fuhr Krister seinen Stiefbruder unwirsch an. „Wo siehst du eine Brücke?“
„Hier!“ Luke deutete auf einen schmalen, verwischten Federstrich nahe des Zusammenflusses der Ströme Algon und Angara, an der Westgrenze Aotearoas in Richtung Cimmeria. Bei genauem Hinsehen – und wirklich nur dann – erkannte ich tatsächlich eine Art Struktur darin. Mit etwas Phantasie sogar eine Brücke.
„Gut möglich“, spielte ich die Sache herunter. „Vielleicht auch nur Fliegendreck. Wie kommst du darauf, dass die Landkarte alt ist? Nur aufgrund ihres schlechten Zustands?“ Plötzlich interessierte mich Lukes Meinung.
„Sieh dir die Brücke an. Fast nicht mehr erkennbar, so gut wie verblichen. Und jetzt wirf einen Blick auf Stoney Creek. Oder Van Dien. Oder auch Cape Travis. Siehst du? Klarere Farben, deutlichere Linien. Nach meinem Dafürhalten sind die Siedlungen viel später in diese Karte eingetragen worden. Womöglich zu einer Zeit, als die alte Brücke schon nicht mehr existierte.“
„Oder ein Spritzer Fett tropfte irgendwann auf diesen Federstrich und löschte ihn halbwegs aus“, hielt ich weiter dagegen.
Luke erweckte für einen Weile immerhin den Anschein, diese Möglichkeit ernsthaft in Erwägung zu ziehen, bevor er den Kopf schüttelte. „Das glaube ich nicht. Sieh einmal hier!“ Und sein Zeigefinger wanderte vom Algon nach Norden in die Bay of Islands. „Die Inselnamen sind allesamt überschrieben worden. Leider lassen sich die ursprünglichen Bezeichnungen nicht mehr entziffern. Sehr schade. Ein weiterer Hinweis, dass die Karte nachträglich verändert wurde.“
Ich nickte langsam. Wieso war mir das noch nicht aufgefallen?
„Wer würde denn eine Brücke am Rande des Niemandslandes bauen?“ meinte nun Krister zweifelnd. „Die nächste Siedlung ist ewig weit entfernt. Welchen Nutzen sollte sie haben?“
Luke zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung. Höchstwahrscheinlich einen Nutzen, den wir aus heutiger Sicht nicht mehr erkennen. Wenn wir wieder zuhause sind, werde ich deinen Vater einmal aufsuchen und ihn auf die Karte ansprechen. Vielleicht weiß er noch, woher er sie einst bekam.“
Der Gedanke an meinen Vater führte mir nicht zum ersten Mal vor Augen, ihm früher oder später den Verlust des Bootes beibringen zu müssen. Da spielte die Tatsache, ihm den Besitz einer fremden Karte angedichtet zu haben, nur eine untergeordnete Rolle. „Ja, tu das“, schloss ich und faltete das alte Pergament betont nebensächlich zusammen. Luke verfolgte jede meiner Bewegungen argwöhnisch, als behandelte ich das Objekt seiner Begierde nicht mit dem nötigen Respekt.
Wir marschierten den Rest des Tages schweigend weiter. Das unwegsame Gelände wollte sich nicht auf eine klare Linie festlegen lassen. Kontinuierlich ging es auf und ab – und auf und wieder ab. Wir orientierten uns so gut es ging am Stand der Sonne, die hier im Landesinneren deutlich an Stärke gewann. Alsbald schwitzte nicht nur ich wie ein Ochse. Die ungewohnte Anstrengung ging unerwartet schnell in die Knochen. Beladen mit sämtlichem Gepäck spürte ich zudem den ächzenden Rücken. Wie hatte ich mir das nur vorgestellt, auf diese Weise bis nach Hyperion zu laufen? Ich musste verrückt gewesen sein! Zu allem Überfluss fing mein ruheloser Geist an, mich auf ganz tückische Art zu quälen. Mit unheimlicher Regelmäßigkeit stellte er mir immer dieselbe Frage: War das alles, was du zu geben bereit warst? Mehrere Male hätte ich heulen mögen über meine innere Zerrissenheit.
Auf dem Rücken eines Höhenzuges machten wir Halt und nahmen eine Mahlzeit ein. Weit unter uns ruhte ein tiefes, dunkel bewaldetes Tal, das bis an den westlichen Horizont reichte. Ein vage erkennbarer Gebirgszug schien es dort zu begrenzen, es konnte sich aber auch um eine optische Täuschung handeln. Von hier oben sah jenes Tal atemberaubend schön und friedlich aus. Es stand aber auch fest, dort hindurch zu müssen. Ein Umstand, der weniger gut gefiel.
Krister deutete den Rand des Grats entlang, auf dem wir rasteten. „Wenn wir hier weitergehen, können wir das Tal vielleicht umrunden und müssen es nicht mühsam durchqueren“, meinte er, meine Gedanken zielsicher erratend.
„Womöglich“, zweifelte ich. Mir schmeckte die Tatsache nicht, zu diesem Zweck die entgegengesetzte Richtung einschlagen zu müssen. Der von Krister vorgeschlagene „Weg“ führte eindeutig zurück in
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