Sephira - Ritter der Zeit 1: Die Bruderschaft der Schatten (German Edition)
dem aus er in den Himmel und auf das Land blicken konnte. Es war eine Notwendigkeit gewesen, um Feinde und Stürme rechtzeitig zu erkennen.
In Momenten wie diesem dachte er gern an jene Zeit zurück, in der er wohl etwas von der Existenz übersinnlicher Kräfte geahnt hatte, aber nicht wahrhaben wollte, dass es sie wirklich gab. Als Kind der Wüste verließ er sich eher auf Dinge, die er anfassen und erklären konnte. Die Waffe eines Feindes gehörte dazu oder der Körper einer Frau.
Doch das alles erschien ihm mittlerweile so weit entfernt …
»Bist du in Gedanken wieder bei deinem Stamm?«, fragte eine Stimme hinter ihm.
Keinerlei Überraschung zeigend wandte sich Sayd um. Auch wenn er tief in Gedanken war, gelang es kaum jemandem, sich unbemerkt an ihn anzuschleichen.
Auch sein Herr, der hinter ihm aufgetaucht war, vermochte es nicht. Der Emir Malkuth verschmolz mit seinen schwarzen Gewändern, dem schwarzen Haar und dem wallenden schwarzen Bart perfekt mit der Dunkelheit hinter ihm. Stirn, Wangen und Nase schienen im Nichts zu schweben. Dazwischen glänzten seine Augen. Da er vollkommenruhig war, hatten sie die Farbe von Onyxen, doch Sayd wusste nur zu gut, dass ein kleines Ärgernis ausreichen würde, um sie blutrot leuchten zu lassen.
»Obwohl es schon lange her ist, kann ich mich den Bildern der Erinnerung nicht verschließen«, gab Sayd mit einer kleinen Verbeugung zurück.
Früher wäre es für ihn undenkbar gewesen, sich vor einem anderen Fürsten zu verneigen, doch diese Zeiten waren wie Wüstensand verweht.
»Die Erinnerungen sind Freunde«, entgegnete Malkuth daraufhin. »Nur darf man ihnen nicht erlauben, zu lange zu verweilen, sonst verwirren sie den Verstand.«
»Was verschafft mir die Ehre, dass Ihr mich persönlich aufsucht, Gebieter? Ihr hättet jemanden nach mir schicken lassen können.«
»Hin und wieder bin ich froh, meinen Gemächern zu entkommen.« Malkuth ließ seinen Blick über den glühenden Wüstensand schweifen. »Ich verstehe, was du an diesem Ort findest. Doch leider werden wir beide nicht lange hier oben bleiben können. Neue Rekruten sind in der Nacht eingetroffen. Ich möchte, dass du einen Blick auf sie wirfst.«
Sayd hatte gehört, wie die Gefangenen auf den Hof der Feste geführt wurden. Die Mühe, sich von seinem Lager zu erheben und den Zug zu beobachten, hatte er sich nicht gemacht. Mittlerweile kannte er die Art von Männern, die hierhergeschafft wurden. Kreuzritter, deren Knappen und einfaches Fußvolk, verletzt aufgelesen nach einem Scharmützel zwischen ihnen und einem von Saladins Emiren. In allen Heeren hatte Malkuth sogenannte »Sammler«, die ihm gegen gute Bezahlung die Gefangenen brachten, anstatt ihnen den Gnadenstoß zu versetzen.
»Wie Ihr wünscht, Gebieter«, entgegnete Sayd, ohne zu zögern, und schloss sich dann dem Emir an.
Die infrage kommenden Männer waren in einem besonderen Verlies angekettet. Sie waren in besserem Zustand als alle, die zuvor hierhergebracht worden waren. Während Sayd jeden Einzelnen von ihnen musterte, erntete er hasserfüllte Blicke.
Zwei der Männer waren blond, zwei dunkelhaarig und das Haar des fünften leuchtete wie eine Flamme. Sie alle trugen die schwarzen Gewänder der Johanniter, deren weiße Kreuze jetzt blutbefleckt waren.
Der Geruch des Blutes, das aus ihren Wunden geflossen und auf der Haut angetrocknet war, stieg Sayd deutlich in die Nase und ließ sein Innerstes rumoren.
»Unser Herr wird euch bestrafen!«, getraute sich einer der Gefangenen zu rufen. Er rief es in der Sprache der Franken, wohl in der Annahme, dass niemand ihn verstehen würde.
Sayd blickte ihn an.
»Welchen Herrn meinst du?«, fragte er amüsiert zurück und beobachtete zufrieden das Erstaunen auf dem Gesicht des Mannes. »Deinen feigen König Guy de Lusignan? Man sagt, dass er nicht einmal sein eigenes Weib beherrschen kann. Glaubst du wirklich, dass er herkommen wird wegen eines einfachen Soldaten wie dir?«
Der Mann zerrte an seinen Ketten. »Verfluchter heidnischer Hurensohn! Egal was ihr wollt, ihr werdet es nicht kriegen!«
»Vielleicht sollten wir sie doch wieder zu den anderen bringen«, sagte Sayd zu Malkuth nun wieder in Arabisch, »Wenn sie die Kraft zu fluchen haben, haben sie auch die Kraft, weiter in Ketten zu schmoren.«
Der Emir wies die Wachen daraufhin an, das Tor zu öffnen. Die Gefangenen wurden nun wieder der Dunkelheit überlassen – und ihrer Angst.
»Der Aufmüpfige eignet sich gut«, bemerkte
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