Sephira - Ritter der Zeit 1: Die Bruderschaft der Schatten (German Edition)
allmorgendlichen Ritual folgend erhob er sich von seinem Lager, wusch sich und kleidete sich in ein weites weißes Hemd und grobe weiße Leinenhosen. Dann kniete er vor dem kleinen Altar nieder, den er in seinem Schlafgemach errichtet hatte, bekreuzigte sich und betete murmelnd einen Rosenkranz.
Nach einem Schluck Wasser, den er sich aus einem Krug neben der Tür genehmigte, verließ er sein Haus. Draußen umfing ihn die warme Luft wie ein seidener Schleier.
Obwohl der Morgen noch frisch war, trug er bereits die Ahnung der kommenden Tageshitze in sich. Einer Hitze, die alles Leben in den Schatten trieb, wo es ausharren musste, bis sich die Sonne wieder senkte.
Als müsse er sich das Aussehen seines Hauses einprägen, wandte er sich um und ließ seinen Blick über die geraden, weiß getünchten Mauern schweifen, die von einigen Spitzbogenfenstern durchbrochen wurden. Die Läden waren blau gestrichen, was zu dem hier vorherrschenden Weiß und Ocker recht hübsch aussah. Vor einem der Fenster hing ein Windspiel, das in der Morgenbrise leise vor sich hin klimperte.
Im Unterschied zu anderen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft wohnte Gabriel außerhalb der Burg seines Herrn. Der Mann, dem er früher diente, hatte ihm dieses Anwesengeschenkt, und er war nicht bereit gewesen, es zu Beginn seines neuen Lebens aufzugeben.
Das palmenumstandene Stückchen roter Erde befand sich in der Nähe des Meeres. Gabriel liebte diesen Ort. Das ferne Rauschen der Wellen beruhigte seine Sinne und half ihm, in seine Meditation zu versinken, wenn der Zeitpunkt gekommen war, den Tod zu bringen.
Nachdem er den Kopf kurz zur Morgensonne erhoben hatte, schweifte sein Blick zu seinen nackten Füßen hinunter, neben denen er eine Bewegung gespürt hatte.
Der Skorpion saß reglos im Sand. Es konnte vorkommen, dass diese schwarz glänzenden, mit Scheren und Stachel bewehrten Tiere Sendboten Malkuths waren, des Emirs, in dessen Diensten er stand.
Doch dieses Tier war nicht markiert. Außerdem bekam kein Mitglied der Bruderschaft zwei Aufgaben auf einmal.
Den jetzigen Auftrag hatte er vom Anführer ihrer Kampftruppe erhalten. Harun ibn Islar war ein Kaufmann aus Alexandria. Reich an Gold und Einfluss auf den Sultan war er dem ehrgeizigen Emir Malkuth ganz offensichtlich ein Dorn im Auge.
In der vergangenen Nacht hatte Gabriel darüber nachgedacht, welche Waffe perfekt sein würde, um Haruns Leben ein Ende zu bereiten. Wenn er jemandem den Tod brachte, sollte er gnädig sterben, schnell und ohne Qual. Gift oder doch blanker Stahl? Bisher hatte er noch keine Wahl getroffen.
Aber vielleicht würde ihm der Ausritt eine Entscheidung schenken.
Er begab sich zum Stallgebäude, das groß genug war, um zehn oder mehr Pferde zu beherbergen. Gabriel reichte allerdings ein einziges Tier.
Der Hengst, dessen Fell die gleiche schwarze Farbe hattewie Gabriels Haar, war eines der besten Pferde der gesamten Gegend und wahrscheinlich mehr wert als zehn gewöhnliche Rösser. Schon oft hatten Diebe versucht, ihm diese Kostbarkeit auf vier Beinen zu stehlen, doch immer hatte es damit geendet, dass die Männer mit starrem Blick aufgefunden worden waren, die Kehle mit einem schnellen Schnitt durchtrennt.
Als der Rappe Gabriel witterte, wandte er sich wiehernd um und betrachtete ihn mit seinen klugen braunen Augen.
Niemandem gelang es, in die Seele eines Pferdes zu schauen, aber Gabriel hätte schwören können, dass Alkadir, so der Name des Tiers, wusste, wann sein Herr eine Aufgabe zu erfüllen hatte.
Das Ross schnaubte vorwurfsvoll und neigte dann seinen Kopf.
»Schon gut, mein Junge«, sagte Gabriel, während er den Hals des Tiers tätschelte und ihn dann aus seinem Verschlag führte. »Noch muss ich nicht meines Amtes walten. Jetzt sollst du mir erst einmal beim Nachdenken helfen.«
Damit legte er ihm den alten Ledersattel auf, auf dem er bereits in viele Schlachten geritten war, und während er die Gurte schloss, dachte er wie so oft an seinen früheren Herrn Balian, den Grafen von Ibelin.
Wie man hörte, befand dieser sich zurzeit in Jerusalem, das vor dem Angriff des Sultans Saladin zitterte. Balduin IV., der von der Lepra gezeichnete König Jerusalems, war vor einem Jahr gestorben, sein Neffe, Balduin V., vor wenigen Monaten. Sein schwacher, aber dennoch machtgieriger Stiefvater Guy de Lusignan hatte zusammen mit seiner Frau Sibylle die Herrschaft über das Reich übernommen, und die Gerüchte verdichteten sich nun, dass der Sultan zum großen Schlag
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