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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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verschwindend klein. Ehrlich, ich weiß nicht.
    Dann kommen die Teller mit der Eierschecke. Der Ober vergleicht die Nummer. Er nickt.
    Eli gabelt beklommen.
     
    Eli hatte noch erfahren, dass Markus mit seiner Mutter mit dem Dominiumtreck im Westen gelandet war, und jetzt lebte er, um der Wehrpflicht zu entkommen, in Westberlin. Er hatte sich an der Uni in mehreren Fächern eingeschrieben, studierte manchmal und verdiente Westgeld als Missionshelfer oder als Orgelspieler. Als Organist, wie er sagte. Eli hatte erst nicht verstanden, was er damit meinte. Er kam ihr um Jahre jünger vor, aber er war so alt wie sie, und sie waren sogar, wie sie durch genaues Rechnen herausgefunden hatten, in Pilgramsdorf noch im Krieg ein halbes Jahr zusammen in die Spielschule gegangen. Er war so mutig und gut, beinahe dummgut. Man möchte auf der Welt sein wie er, aber leider. Andererseits, besser man erkennt die Stolpersteine. Besser, man hat Augen im Kopf. Andie schmale Brücke über die Katzbach, die oft repariert werden musste, konnte er sich nicht erinnern. Seiger, das schlesische Wort kannte er gar nicht mehr.
     
    Herr und Frau Seifert hätten auf die Cola gerne verzichtet, aber die Kinder freuten sich auf die süße braune Brause, und für den Piloten war der Cola-Sonntag zu einer Tradition geworden. Jede Woche eine gute Tat und dazu noch ein sportliches Vergnügen. Er wusste nicht, dass an einem Herbstsonntag etwas schiefgegangen war. Echt schief. Wahrscheinlich hatte es am scharfen und eigentlich seltenen Südwind gelegen. Eine Büchse war, statt im Sandkasten, auf dem Hausdach gelandet. Mehrere Dachschindeln waren zu Bruch gegangen.
    Jetzt hat das schieferblaue Dach ein gelbes Mal, einen Flickfleck von sieben Schindeln, die von der Beethoven-Schule, der man grade ein neues gelbes Dach aufgesetzt hatte, auf glückliche Weise, nämlich mit fünfzig auf die Hand, abgezweigt werden konnten. Seitdem beten die Seiferts. Lieber ahnungslos gütiger Cola-Bomber, lasse die Büchsen nicht wieder ins Dach krachen, triff bitte genau den Sandkasten.
    Eli, wie stets bei besonderen Anlässen, in Grün, diesmal außerdem mit weißer Bluse unter dem Overall. In der Faust einen üppigen Maiglöckchenstrauß, umwickelt mit nassem Zeitungspapier.
    Eli ist etwas zu früh gekommen. Trotzdem, herein, wenn’s kein Schneider ist. Wir sind im Garten. Sven, fünf Jahre alt, und Lydia, acht, das sind die Kinder. Udo, freundlich, mit leichter Fahne von den drei Mittagsbierchen, im Trainingsanzug von SC Dynamo, das ist der Mann. Christine in langem kastenförmigem Sonntagskleid, das ist die Frau, sie setzt am heutigen Nachmittag Tomatenpflanzen an den Fuß der Wand, die in dieser Form das erste Frühjahr steht, sieben Meter hoch, auf Mannshöhe frisch getüncht, die Grenze zur Exklave Steinstücken.Man weiß, drüben hat sich im dörflichen Westgelände – es kräht in der Frühe ein Hahn, es gackern Hühner in Berlin – seit der Abschottung eine Art Künstlerkolonie angesiedelt, vor dem Bau der Betonwand hatte es nach dem scheußlichen Kraut herübergestunken, was die in ihren Gärten immerzu qualmten. Marihuana, sagt die Frau. Cannabis, verbessert der Mann. Gefährlich für die Kinder, sagt die Frau. Sie hat für die Tomaten Pflanzlöcher ausgehoben. Eli greift ein. Nicht zu tief einpflanzen, das macht der Laie gerne falsch. Eli verrät, dass sie Gärtnerin gelernt hat, und übernimmt den Rest der Arbeit. Einsetzen, gießen, die Triebe in den Blattachseln ausbrechen. Lauter nützliche Sachen, damit die Zeit vergeht, damit die Spannung nicht in Angst übergeht.
    Christine in ihrem kastenartigen Sonntagskleid, vor der Brust eine Messingsonne, schaut zufrieden. Was die Tomaten für einen gedeihlichen Platz gewonnen haben. Im Schutz des Gemäuers. Ein gemütliches Ende der Welt.
    Eli wäscht sich die Hände in der Regentonne. Sie horcht. Ein Geräusch, die Kinder kreischen vor vergnüglicher Furcht.
    Lydia und Sven werfen die Federballschläger ins Gras, sie halten sich die Ohren zu. Sie ziehen die Köpfe ein. Der Heli kommt. Jetzt kommt er. Im nächsten Augenblick neigen sich die Pappeln im Park der Akademie für Staat und Recht, die Bäume kreiseln verzweifelt, als wollten sie sich aus der Erde reißen, der Himmel rumpelt, schnell fegt der Wind, ein dunkler Schatten huscht über das Gelände. Die Seiferts und Eli sind in die Veranda gelaufen. Es ist besser, sagt Udo, er hält die Kinder fest, er blickt besorgt in den Himmel. Christine bringt die

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