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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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am Drehort gewesen war. Später habe er ihre Stimme, ihren Text, aufgenommen. Not macht Tugend. Das Ende von Opas Kino. An Erwin Schubert, Ludwig Zweig, an Erika und Großvater Anton. Anton erhält außerdem die wichtige Mitteilung, dass Eli sich auf den Weg machen wird. Ich reise mit Ruck- und Schlafsack Richtung Cottbus, dann Görlitz, über die Neiße-Friedensgrenze kommt man besser als über die Oder. Weniger Bewachung, wird gesagt. Halte den Daumen für mich und für Heinrichs Asche, Deine Eli
    Lieber Anton, mach Dir keine Sorgen. Ich war beizeiten auf der Kasse und bin eingedeckt.
    Anton schreibt umgehend, nicht ohne vorher das nützliche Fremdwörterbuch unters Licht zu holen. Off, ein kurzes Wort, er könnte raten, dass es etwas Offenes bedeutet, er will es wissen. Off, so nimmt er verwundert zur Kenntnis, heißt etwas anderes, es heißt: hinter der Bühne bzw. hinter der Kamera, oder: der unsichtbare Sprecher.
    Liebe Eli, ich freue mich, dass Du Fortschritte machst im Studieren und gut, wenn Du die nächsten und letzten Schritte für Deinen anderen Großvater bald gehst. Woher hast Du denn einen Schlafsack, Du hättest doch meinen nehmen können. Nun hast Du wohl dein ganzes Erspartes abgehoben. Passe nur gut auf.
     
    Lieber Ludwig, liebes Merkbuch, ich bin unterwegs.
    Leider habe ich in Berlin die letzte Eisenbahn verpasst, also musste ich in der Stadt übernachten. Ich habe mir, als es finster genug war, im Tierpark eine bequeme Bank gesucht. Da wir jetzt schon die Schafskälte haben, war ich froh über meine wollenen Socken und die Qualität meines chinesischen Schlafsacks. Urwaldstimmen haben mich heute in der Frühe geweckt, Elefanten und Papageien. Und dann Erleuchtung und Wärme, die aufgehende Sonne sorgte für mich, die Flamingos auf der Wiese vor meiner Bank streckten die Hälse. Ich hatte Brot bei mir, dazu vom Bahnhofskiosk eine Pulle Stierblut.
    Die Flamingos mochten mein Brot, mir blieb der Wein.
    Nach dem Stierblutfrühstück habe ich mich Richtung Hinterausgang geschlichen. Das ging beinahe schief, wegen der Affen im Prinz-Ferdinand-Schloss, denn die hingen zu der frühen Stunde schon in den offenen Fensterrahmen. Als die Turner mich von ihrem Klettergerüst aus entdeckten, haben sie ihre Leibesübungen abrupt unterbrochen, sie kreischten vergnügtund winkten mir zu, ich versuchte, Zeichen zu geben. Finger auf die Lippen. Es sah aus, als würden sie über mich lachen. Über meinen Rucksack, über meinen Schwips, einer warf mir eine Banane zu. Weil ich die Banane im Flug erwischte, wurde daraus ein Spiel, sie warfen, ich fing. Apfelsinen, Bananen. Ich fing mit beiden Händen. Eine Trillerpfeife rief sie zur Ordnung, und ich machte mich mit vollen Jackentaschen auf Schleichwegen aus dem Staube.
    Auf dem Bahnhof Lichtenberg habe ich ohne weitere Umstände den ersten Zug Richtung Cottbus erwischt.
    Derzeit sause ich, noch immer ein wenig besoffen, dazu satt von Obst, das mir die spendablen Einwohner des Prinz-Ferdinand-Schlosses zugeworfen haben, durch den Spreewald.
    Ich habe mit meinem Mehrzweckwerkzeug, dem Taschenmesser von Anton, meinen Bleistift gespitzt. Jetzt hätte ich gern für den spitzen Stift ein paar brauchbare Gedanken, einen Vers, der meine Wege begleiten könnte.
    Paradies mit Trillerpfeife, das will ich mir über den Schlaf hinweg merken.
     
    Die Tauber-Villa, die eiligen Schritte im Treppenhaus, das Rennen zum nächsten Termin, die vorsichtigen Bekenntnisse, die Zugeständnisse liegen hinter mir. Kilometerweit.
    Die Regale in der Dachbude habe ich aufgeräumt, die Bibliotheksbücher fristgerecht zurückgegeben.
    Der Wäscherinnenfilm liegt unverdorben auf Eis. Lose Blätter über Laokoon habe ich vor mir selber in einer Kiste versteckt. Mühen um Beweise und Gegenbeweise, Gewissensbisse und Zweifel sind verflogen.
    Einen fromm wütenden handschriftlichen Dreitageschreibrausch, Titel: Novelle über den Kunsthändler Ludwig Pollak, habe ich während der Aufräumaktion in einer gesegneten Minute zerrissen. Die Namensgleichheit, Ludwig. Ludwig imVerbrennungsofen von Auschwitz. Das ist die alles durchdringende Kälte, von der dieser Philosoph Adorno spricht. Man redet mit mechanischer Zunge, nur um voranzukommen. Schubert hatte von Anfang an empfohlen, ich soll den Namen ändern. Als wenn das möglich gewesen wäre, als wäre Liebe noch nicht gewesen, wie der Philosoph meint. Aber das weiß ich nun wirklich besser. Sie hat nicht stattgefunden, aber sie ist gewesen. Wie Künftiges

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