Sepia
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Das Treffen im Café Moskau findet im Mai statt.
Wie brieflich verabredet, ist Eli ganz in Grün, also in ihrem Allerweltsoverall, gekommen. Der Neffe von Kindler Julius hat als Erkennungszeichen gleich nach dem Grenzübertritt in der Buchhandlung der Evangelischen Verlagsanstalt Bücher gekauft. Drei Stück. Ein kleiner Stapel auf dem Restauranttisch. Alles nach Plan, doch gottlob ohne Büchse. Was sich Klose so denkt in seinem alten niederschlesischen Schädel, das ist ElisMeinung und auch die des Besuches. Büchsen sind verboten. Die darf man auch nicht im Handgepäck mit Besucherpassierschein herüber- oder hinüberschleppen.
Die Büchse hier im Café Moskau auf dem Tisch neben den Büchern, das wäre zwar ein Schritt vorwärts auf dem Wege nach Osten, aber doch ein sehr gefährlicher Schritt. Ein Vabanquespiel. Gott versuchen, so hätte man das Verstecken der Büchse im Gepäck nennen müssen, und nicht: Gott vertrauen.
Stellen Sie sich mal vor, sagt Eli, Sie wären bei der Passierscheinkontrolle durchsucht worden, stellen Sie sich mal vor, Sie hätten Ihre Tasche aufmachen müssen, die Grenzer hätten die Büchse herausgefischt und dann gefragt, was drin ist, oder die Büchse durchleuchtet, oder man hätte Ihnen die Büchse kommentarlos abgenommen. Dann säßen Sie jetzt in Rummelsburg im Knast.
Wollen wir nicht Du sagen, fragt der Besuch.
Eli hebt die Kaffeetasse. Sie sind trotzdem sehr mutig, sagt Eli.
Ich bin der Markus.
Rafaela, sagt Eli.
Folgendes, sagt Markus, wir haben uns das so gedacht. Er nimmt einen Zettel, eine alte Rechnung, aus seinem Westportemonnaie, auf die Rückseite malt er einen Grenzstrich, dazu die Exklave Steinstücken.
Kenne ich, sagt Eli, das ist zehn Minuten von meiner Bude entfernt.
Westen, sagt Markus.
Weiß ich, sagt Eli.
Daneben, das Haus, der Garten, die Stahnsdorfer Straße, das ist der Osten. Das hier soll ein amerikanischer Hubschrauber sein, einer, der das Ostterrain täglich mehrmals mit Alliiertenstatus im Landeanflug auf die Exklave überfliegt, übermorgen, also am Sonntag, werden dort nicht nur Colabüchsen in denGarten bei Seiferts in der Stahnsdorfer Straße plumpsen, sondern auch, rate mal, Rafaela.
Heinrich, sagt Eli.
Richtig.
Seiferts warten schon auf den Sonntagsgruß von oben, und sie wissen, dass du kommst. Du müsstest am Nachmittag, so gegen 16 Uhr, mal vorbeigehen. Das Haus und der Garten liegen im Grenzgebiet.
Da kann ich locker hin, ich habe für die Schulgebäude einen Passierschein, der gilt bis zur Stahnsdorfer Straße.
Eli zeigt ihm ein grün gemasertes, mit vielen roten Stempeln markiertes Leporello, das in ihrem Ausweis klebt, die Berechtigung zum Betreten des Sperrgebietes. Markus blättert bis zum Passfoto. Rafaela Reich mit zwei Zöpfen.
Niedlich.
Das war zu meiner Zeit im Botanischen Garten. Eli nimmt ihm verschämt den Ausweis weg, das ist lange her. Sie zerrupft den Zettel mit der Lageskizze in feine Schneeflocken. Was soll man nun noch sagen, die Büchsenprobleme sind geklärt.
Vielleicht ein Stück Eierschecke, Dresdner ist es nicht, aber trotzdem essbar.
Bist du oft hier?
Selten, sagt Eli ziemlich kurz angebunden, aber eigentlich sehr überzeugt, was den Kuchen angeht, wenn sie den auch ein bisschen heruntermacht. Sie wird rot, weil sie an das Passfoto denkt. Eli mit Zöpfen.
Sie geht flink zum Kuchentresen, dort bekommt sie eine Nummer. Na also, das wäre doch gelacht. Sie wird wieder rot an dem kleinen intimen Restauranttisch.
Markus fällt ein, dass er für Eli etwas hätte mitbringen können, Schokolade oder Seife, statt der Büchse, irgendetwas Feines, das auf der Liste der erlaubten Sachen steht. Er hatte sich nicht als Besuch, sondern in einer Mission auf den Weggemacht. In schlesisch-christlicher Mission. Seife hätte er Eli schenken können oder Nivea. Er fängt an, verlegen oder überlegen, männlich oder westlich, zu schwadronieren.
Ich kenne die Exklave von oben, erklärt er. Man sieht einen See und viel Wald, neue Wachtürme. Ich bin in den Semesterferien oft mitgeflogen, wir haben Kinder mit dem Hubschrauber von der Schule nach Hause in die Exklave gebracht. Die haben dort sogar einen Landeplatz. Der Pilot ist ein prima Kerl. John heißt er. So was macht Laune, mit dem Hubschrauber fliegen.
Er schielt über die drei Bücher von der Evangelischen Verlagsanstalt.
So was macht Laune, wiederholt er.
Ich weiß nicht, Eli zupft die Papierflocken von der Skizze ganz fein, ganz klein,
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