Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
Vom Netzwerk:
Maiglöckchen aus einem Provisorium in einer schönen blauen Vase unter. Auch sie achtet auf das sonntägliche Geschehen. Das abschwellende Geknatter.
    Im Sandkasten liegen vier rotweiße Colabüchsen, und eine Büchse hängt im verblühten, aber immer noch duftenden Fliederbusch.Wie versprochen, eine blanke verschlossene Konservendose in einem blauen gummiartigen Netz.
    Ja, das ist mein anderer Großvater, sagt Eli, mein Heinrich. Seiferts schweigen pietätvoll.
    Nun bleiben Sie aber zum Kaffee, wo Sie mir so nett beim Pflanzen geholfen haben.
    Die Kinder machen ihre Colabüchsen auf.
    Eli behält ihre Büchse auf dem Schoß, während sie mit der Familie Seifert in der Veranda am Kaffeetisch sitzt, einen Keks zerkaut, die Tasse sorgfältig austrinkt. Kurze Zeit später zieht das Rotorengeräusch eine andere Bahn. Entfernt und ohne Schatten. Eli erfährt, dass Frau Seifert eine Laubanerin und mit dem jungen Christen aus Charlottenburg und der Familie Kindler Julius um drei Ecken verwandt ist. Beim Abschied bittet Herr Seifert um Verschwiegenheit. In unser aller Interesse. Auch Sven und Lydia werden belehrt. Keine Cola, kein Westsandmann, ist doch klar. Die beiden sind geschult in dem, was draußen in der Welt schicklich ist und was im Haus und im Garten geschieht. Heute kommt noch die Sache mit Heinrichs Landung im Fliederbusch dazu.
    Wir haben nichts gesehen, rufen die Kinder, ist doch klar.
    Frau Seifert gibt Eli für die Büchse einen Beutel von ihren vielen Beuteln, die sie gesammelt hat. Suchen Sie sich einen aus, Sie dürfen den Beutel gerne behalten, sagt sie. Eli nimmt einen mit grünen Streifen. Sie dankt. Herr Seifert, Frau Seifert, Sie können sich auf mich verlassen.
    Eli schultert das leichte und doch schwere Gepäck.
    Flauschige Abendwolken schmücken den Himmel. Pünktlich schlagen die Nachtigallen. In der Büchse befindet sich Asche. Es ist Heinrich.
Durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise, dann aber werde ich erkennen, gleich wie ich erkannt bin.
Es ist einfach nur der Tod.
    In der Tauber-Villa kehren die Wochenendheimfahrer zurück und die Ausflüglerinnen, die beim Baumblütenfest gewesen sind. Obstweinbeschwipst.
    Eli räumt auf, die vollgeschriebenen Hefte, die grün beschriebenen Seiten, die Zeitungen, Zeitschriften,
Iskustwo Kino
, daraus schnürt sie ein Altpapierbündel, die fünf Milchflaschen wird sie morgen in die Milchkiste schmuggeln, denn eigentlich dürfen die Flaschen nicht aus der Mensa entfernt werden, jedenfalls nicht aus dem Schulgebäude, Milchtrinken außerhalb der Mensa in den Seminar- und Schneideräumen, das ist schon Entgegenkommen genug. Die Flaschen sind Eigentum der Schule, es ist bares Geld. Eine eigene Währung. In den Geschäften gibt es dreißig Pfennige pro Flasche. Eli steckt den grüngestreiften Beutel samt Büchse hinter die Bücher, sie will nichts mehr sehen. Heute und morgen, die nächsten Tage nicht.
    Die Wolken haben sich aufgelöst, der Himmel hat eine dunkle rostige Farbe angenommen. Sonntagabendstimmung im Haus. Offene Türen. Lauter fröhliche Leute, denen das Leben leicht ist. Der neue Louis Armstrong, Satchmo,
Back Home Again in Indiana
, tönt von der unteren Etage herauf. Wie, wenn Eli die Büchse für immer im Regal lassen würde, einfach vergessen, wie, wenn sie die Büchse gleich hier in der Gartenwildnis verscharrte, morgen unter dem blütenreichen weißen Rhododendron, dem die Wildschweine, wie es aussieht, überhaupt nicht geschadet haben. Sie würde den Kloses, Kunzes und Kindlers und allen zugehörigen Niederschlesiern melden: Auftrag erledigt, oder, weniger politisch, so ehrlich wie möglich: Heinrich ist angekommen.
    Die Augen tränen. Dachstubenstaub und Trauer und Wut. Eli tut sich selber leid. Allein die Vorstellung, allein der Gedanke, Tag für Tag, Jahr für Jahr – Eli sieht sich nach langen Jahren gebeugt, alt, unter der Last des Gewissens irgendwie grau geworden, sieht sich als alte, zerknirscht reuige Fünfzigjährigezurückkehren an den Ort der feigen Tat, hierher in die Villa des Kammersängers Richard Tauber. So startet ein englischer Gruselfilm: Wie die alte Eli durch die Büsche schleicht, durch Brombeer- und Rhododendrongestrüpp, dürre zerkratzte Hände umklammern die benedeite Büchse, kaltes Blech, das immer noch glänzt wie neu, wie zum Hohn: ohne Rostflecke, ohne Sturzbeulen. Heinrich, wie Eli ihn einst vergessen wollte.
    Vorsätzlich vergessen, das

Weitere Kostenlose Bücher