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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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Gelände, genau platziert das Müllerhaus, dahinter die Wiesen vom Dominium. Gegenüber das Haus, wo der Schuster gewohnt hat. Ein bisschen anders sieht alles nun aus, schiefer und vielleicht kleiner.
    Stanzija, die Haltestelle.
    Die Brücke über die Katzbach ist aus Buchenholzstangen.
    Eli sitzt auf dem Rucksack. Der Kuckuck ruft.
    Unten am Ufer macht sich jemand mit einem Eimer zu schaffen. Es ist ein Mann, er versenkt den Eimer, man sieht, der Eimer hat statt festen Bodens ein Netz, wo das Wasser durchfließen kann. Fische, Forellen, die bleiben hängen. Man sieht einen Hut, man erkennt etwas Schwarzes unter dem Hut. Es ist eine Augenklappe. Eine schwarze Augenklappe vergisst man nicht. Hut und Augenklappe.
    Eli kennt einen Mann mit Augenklappe aus Erzählungen, aus Heinrichs Geschichten, in Briefen hat Heinrich ihn manchmal erwähnt. Zibulka. Zibulka bringt’s fertig, der fängt die Katzbachforellen mit der Hand.
    Früher ist der junge zugewanderte Pole bei Klose im Mitteldorf Knecht gewesen, dann hieß es, er sei als Erbe eingesetzt worden, die kinderlosen Kloses wollten ihm das Anwesen samt Hypotheken und Herdbuch vermachen. Nach dem Krieg, als Zibulka keinen richtigen Herrn mehr hatte, noch selber Herr war, wurde Zibulka, weil er Polnisch und Deutsch wie zwei Muttersprachen beherrschte und weil er die alten und neuen Gegebenheiten durchschaute, zum wichtigsten Mann, zu einem Mittelsmann und Retter. Wenn irgendwo im Dorf Streit aufkam, wenn die Polen zuschlugen, dann wurde Zibulka mit der Augenklappe gerufen, er stiftete Frieden. Als dann alle Einwohner fort waren, geflüchtet oder per Dekret ausgewiesen, es kam auf eins raus, denn der Hitlerkrieg hatte auch das noch fertiggebracht, Vertreibung, blieb Zibulka so lange in einem Versteck, bis neue Verordnungen aus Warschau Geltung bekommen hatten.
    Er war geblieben, wie es hieß im Klose-Anwesen über dem Pferdestall. Ob Knecht, ob Herr, man lebt, so hatte er von der Katzbach aus nach drüben in den Westen, wo nun sämtlich diealten Hiesigen wohnen, per Post berichtet, einst und jetzt, man existiert, so hatte es Heinrich seinerzeit brieflich nach Dresden weitergegeben.
    Zibulka mit der Augenklappe ist geblieben.
    Er kennt sich aus und verträgt sich, heißt es, und Eli weiß, dass die alten Hiesigen aus dem Westen Pakete an ihn schicken. Pulverkaffee, Schokoladentafeln, Nylonhemden, was das Herz begehrt.
    Bist du nicht das Elala?
    Da springt Eli vom Rucksack auf, stellt sich auf die Beine und macht einen Knicks, den Knicks macht sie vielleicht nur in Gedanken, im Angedenken, da man ihr eingetrichtert hatte, mach lieber einen Knicks zu viel als einen zu wenig.
    Herr Zibulka?
    Zibulkas Auge ist himmelblau. Das Hemd ist weiß und aus Nylon. Das himmelblaue Auge hat Eli schon einmal gesehen, von oben herab, vom Pferd herab, von einem Reiter, Zibulka hatte den galoppierenden Schimmel zum Stehen gebracht, und Elala hatte einen Knicks gemacht. Bist du nicht das Elala? Und sollst du nicht um diese Zeit längst in der Spielschule sein?
    Das Elala sollte, aber sie hatte gedacht, heute mal nicht, heute ist es sowieso schon zu spät und der Weg viel zu weit. Schulschwänzerin. Diebin. Gänsedreck.
    Ist denn das wahr? Zibulka. Brieferzählungen und Kinderzeit, da steht er als Bild, wie im Kino, im Tonfilm, denn man hört, Zibulka spricht. Es ist der leibhaftige Zibulka.
    Der Mann mit der Augenklappe redet von dem Haus im Niederdorf, das leider nicht mehr steht. Alles hin. Er sagt, er besinnt sich. Elala zum Sattessen kriegsverschickt in das schlesische Paradies, wo Milch und Honig fließen. Kennst du noch den bissigen Gänserich und die prügelnde Sense vom Kantor Tischer. Weißt du noch?
    Zibulka, du hast, wie es scheint, das Vergessen vergessen.
    Herr Zibulka! Heinrich besteht darauf, dass sein Enkelmädl Herr Zibulka sagt, und auf dem Knicks besteht er auch, du kommst schließlich eigentlich nicht vom Dorfe.
    Herr Zibulka, ist denn das wahr? Eli hält immer noch seine Hand.
    Zibulka besinnt sich, er erzählt von Heinrich, dem Pferdekenner. Der wusste alles, vor allem über Schimmelpferde. Fliegenschimmel, Apfelschimmel, Eisenschimmel, Isabellen und so weiter.
    Eli will nicht über den sprechen, dessen Asche sie im Rucksack trägt. Es ziemt sich nicht. Es tut weh. Reden ist wie Lügen und Schweigen erst recht.
    Herr Zibulka, Sie haben das Vergessen vergessen.
    Eli wäscht die Füße im Bach. Sie zieht die Schuhe an. Zibulka erbietet sich, den Rucksack zu tragen. Dagegen

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