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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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Eli zwinkert verschlafen, weil Sommer ist und wahrscheinlich Frieden. Blech und Kette klappern den Weg entlang. Es ist ein Pole, denn Eli ist in Polen. Keine Zweifel mehr, das steht jetzt fest.
    Der Pole holpert bis zum Heuwender, dieser verrostetenMaschine aus verdammt alten Zeiten, dort stellt er das verrostete Rad ab. Er nimmt die Heugabel, rückt den Strohhut in die Stirn, er schaut in den wolkenlosen blauen Himmel, dann wirft er mit der Gabel das nachtfeuchte Heu auseinander. Er arbeitet Richtung Grenzfluss, wo die Kuh ihn erwartet. Eine rotbunte Kuh wie unsere Liese. Aber unsere Liese kann es nicht sein.
    Die Kuh brüllt dreimal wie zur Begrüßung, der Mann ruft der Kuh ein Wort entgegen. Gewiss ein polnisches Wort.
    Eli rappelt sich hoch. Sie duckt sich, dann läuft sie schnell über das letzte offene Wiesenstück, zügig zum Waldsaum, um wieder Deckung zu gewinnen, um schnell die Flussniederung zu verlassen, das Grenzgebiet und den sogenannten grenznahen Raum.
     
    Sie läuft Richtung Osten. Sie bleibt in Waldnähe, meidet die Dörfer, manchmal sieht Eli zwischen Feldern in einer Senke oder auf einem Hügel ein dunkelgrünes Nest, zwei Kirchtürme, einen spitzen und einen mit Zwiebel. Einmal findet sie einen Bach, gutes Wasser, bestimmt kommt es aus einer Quelle im Bober-Katzbachgebirge oder aus dem Riesengebirge, wo Rübezahl wohnt. Rübezahl darf man nicht sagen, wenn du ihn rufen willst, musst du ihn beim richtigen Namen nennen. Herr der Berge.
    Eli geht den ganzen Tag, bei Nacht läuft sie eine schnurgerade Chaussee entlang, am Horizont die dunklen Hügel, einzelne höhere Kuppen. Dort hinten muss es sein. Hinter den Bergen.
    Man könnte beim Laufen ohnmächtig werden oder einfach einschlafen. Laufen ist Freiheit oder eine Gefängnisfolter. Eli will an etwas Gutes denken, an Ludwig am besten oder an wichtige Filme oder an Geschichten, die mit ihrem Auftrag in Zusammenhang stehen, schlesische Geschichten, an HeinrichsErzählungen, weil das naheliegend wäre, weil sie ihn im Rucksack trägt, weil sich das Andenken aufdrängt und jede Berechtigung hätte. Die Voraussetzungen sind da, Leben und Tod, ein Fluchtkapitel. Doch die Büchse im Rucksack hat nichts zu sagen, auch Ludwig ist in der Einsamkeit zu einem blassen Mitläuferschatten geworden, vielmehr bestimmen die Beine, vielmehr bestimmt die Müdigkeit. Hunger diktiert. Sie denkt an ihr Fahrrad, wie es im Keller steht und jetzt nützlich wäre, jetzt auf gerader Strecke. Wie die Kilometer sich wegradeln würden. Eli wäre mit ihrem Fahrrad ein glücklicher, mindestens ein anderer Mensch. Das Fahrrad ist heutigentags der am meisten geklaute Gegenstand. Fahrräder wurden nach dem Krieg immer zuerst geplündert, als zweites dann Uhren. Über den schönen Fahrradgedanken fällt Eli der Fernfahrer aus Wittenberge ein, sein Lkw mit den Veritas-Nähmaschinen. Eine sanft schaukelnde Kutsche. Rote Sitzpolster, ein Samtschemel unter den Füßen.
    Eli zieht die Schuhe aus, barfuß, wie einst, da bist du sogar mit nackten Sohlen über Stoppelfelder gegangen. Barbsch. Mit barbscha Bena.
    Auf den Wiesen wachsen Sauerampfer und Huflattich, lauter essbare Kräuter.
    Eli findet sogar Erdrauch, fette Fumaria, das schmeckt bittersüß und etwas rauchig, Fumaria ist eine Heilpflanze, Fumaria, hilft gegen Krämpfe und Melancholie. Es dämpft die schlechten Gedanken, es heitert dich auf. Fumaria macht den Hunger zu einem guten, wunderbar leichtlebigen Gefühl. Fumaria beflügelt.
    Eli macht sich nichts mehr draus, sie sucht keine Deckung mehr, am hellen Tag quert sie eine Wiese, sie wandert gradewegs auf ein Schild mit einem Ortsnamen zu. Budachow, so ähnlich. Die Richtung stimmt, ostwärts, der Sonne entgegen. Von einem Dorf ist nichts zu sehen, keine Kirche, keine Behausung,aber am Wiesenrain: ein Melkeimer, ein Schemel, eine Melkerin und eine Kuh. Milch zischt in den Eimer.
    Eli hält ihren Becher hin. Die Melkerin lacht mit goldenen Zähnen, sie nickt, die Lockenwickel wippen im schwarzen Haar. Mit der Nase zeigt sie zum Eimer und zu ihren Fäusten, zu dem weißen Strahl.
    Eli hält den Becher unter die Kuh, bis der Becher voll ist, obendrauf Schaum.
    Chleb, murmelt Eli, das ist russisch und heißt Brot. Haben Sie ein Stück Brot für mich? Die Frau lacht und weist mit der Nase die Richtung, sie zeigt bergan, wo Eli unter Bäumen ein Haus erkennt.
    Eli steht mit nackten Füßen auf der Erde. Sie geht ein paar wunderbar leichte Schritte, sie traut sich bis vor den Hund,

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