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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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kann Eli nichts sagen. Wohin? Sie zuckt die Achseln. Vielleicht ins Niederdorf?
    Sie gehen nebeneinander, in zügigem Schritt. Zibulka hat den Rucksack auf seine Schultern genommen. Parallel zur Dorfstraße strudelt die Katzbach. Himmelblau, die Farbe kennt man, aber Eli hatte vergessen, wo die Farbe hingehört, nicht unbedingt hoch in den Himmel.
    Noch vor dem Niederdorf, noch vor der Stelle, wo das Haus einmal war, kehren sie um. Zibulka sagt: Da ist nichts mehr. Zibulka kennt eine Unterkunft, dort hat er schon andere einquartiert, im Posthaus, dort kann Eli bleiben, solange es ihr gefällt. Wie lange? Für immer?
    Nein, sagt Eli, nur zwei oder drei Tage.
    Eli fragt, ob Zibulka eine Familie hat: Kinder, eine Frau.
    In dieser Art nicht, sagt er.
    Es sind drei Kilometer zum früheren
Gasthaus zur Post
, etwa in Höhe der Schule. So ein weiter Weg. Eigentlich endlos.
    Macht mir nichts aus, jetzt nicht mehr, sagt Eli.

 
    Strohdach und Fachwerk, da hat das Feuer nicht lange gefackelt. Zibulka hat recht: Das Haus ist verschwunden. Aber nicht spurlos, das hat Eli sowieso nicht geglaubt. Sie glaubt nicht ans Nichts. Zu Füßen liegen ein paar Ziegelsteine, moosgrüne und efeuverwurzelte Grundmauerreste. Eine ausgetretene Türschwelle, ohne Türrahmen, ohne Haus. Eli hat die Stelle gefunden, wo der Brunnen früher war, ein Schöpfstein und Sand, Geschichten und Abenteuer, Spiele am tiefen Wasser, von denen niemand erfahren durfte, die keiner geduldet hätte, auch das gelbe Schlingkraut wollte der Großvater nicht dulden, weil es den Brunnen versaut. Eli findet die Schöpfsteine gelb überwuchert, lauter Kraut. In der Nähe liegt, schwarz verkohlt und nun faulend, die alte Esche, der sogenannte Hausbaum. Am Wurzelfuß treiben zierliche Schösslinge, grasgrün, manche haben schon kleine Zweige. Eli gräbt einen aus. Auch eine Handvoll Erde knotet sie in ein Taschentuch.
    Eli stolpert.
    Längs im Gestrüpp liegt ein Balken, es ist eine Wagendeichsel, warum ist denn die nicht verbrannt. Deichseln hatte Heinrich immer selbst aus Eschenholz gemacht. Aus einem Kronenast. Siehst du, Elala, der Ast hat das Maß. Der wird eine neue Deichsel, eine Heuwagendeichsel.
    Zibulka hat gesagt, da ist nichts mehr. Verbrannte Erde. Eli fällt auf die Knie, weil sie wieder gestolpert ist, sie ist im hohen Gras hängengeblieben. Eli kniet vor einem zum Heulen unverwüstlichen Eisenklotz.
    Was machst du denn hier, so verlassen, so heinrichseelenallein?
    Heinrichs Schusterbock.
    Es ist ein eiserner Dreifuß. Unser Drudenfuß, das Eisen zum Schuhebesohlen und Geistervertreiben, er hat sein Gewicht. Es ist gut, dass Eli einen stabilen Rucksack besitzt, darin die Büchse und nun auch der Drudenfuß. Auf dem Rücken verteiltsich die Last. Die junge Esche mit den zierlichen Blättern guckt oben heraus. Die Deichsel musste Eli leider liegenlassen. Die verfault irgendwann oder wird zu Stein, den dann Urururenkel ausgraben können, grübelnd, die Spuren eines Hobels vermutend, friedliche Menschenhand in Zeiten der Kriege.
    Eli geht im Wanderschritt. Der Postchef hat heute früh in der Poststube eine Kanne Tee hingestellt und auch ein Gerät besorgt mit spitzem Dorn und Zahnrad, einen Büchsenöffner. Eli geht den Sonntagsweg, quer durch die Sonntagswiesen. Die Gräber liegen außerhalb des Ortes, und die alte Kirche, die mehreren Dörfern gemeinsam gehörte, steht wieder woanders, an einem Kreuzweg. Vor Jahrhunderten war das eine im Glaubensstreit geborene Notlösung. Später wurde daraus eine fromme Tradition. Man rastete vor Gottesdiensten und Beerdigungen gesellig mit Sarg und Bier und Gesang auf den Sonntagswiesen und zog gestärkt weiter bis zum Acker des Herrn. Weil es keinen Zaun gab, man aber zum Ende durch ein Tor schreiten wollte, haben der Stellmacher und der Schmied einen Bogen samt Tor und Klinke mitten auf die freie Wiese gebaut.
    Der Weg steuerte grade darauf zu.
    Die Pforte hatte einen rätselhaften Schatten geworfen. Immer anders, und man konnte drauftreten, auf eine wandernde Kugel. Ein Symbol, hatte Heinrich behauptet, die ummantelte Kugel oben auf dem First, auf dem Weg der Schatten.
    Die Holzpforte ist verbrannt, aber der Schatten ist liegengeblieben, auf der Wiese genau vor Elis Füßen, der Schatten bleibt, du musst wissen, es ist einfach nur der Schatten des Himmels.
    Jeden Sonntag, viele Sonntage sind wir gegangen.
    Auf halber Höhe der Berglehne, da haben wir vor einem Holzkreuz haltgemacht, es stand immer schief, man musste es

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