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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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bestandene Examen.
    Mensch, Eli, du hast vielleicht ein Schwein gehabt. Darauf lohnt es sich ebenfalls, anzustoßen.
    Tetzner hatte seine Abenteuer erzählt. Mit dem Motorrad und mit Eli, den Fakt, und was er danach noch unternommen hatte mit Ludwig im Harz. Man darf nicht mehr bis hoch auf den Brocken wandern. Ab Ilsenburg alles voll Militär, Russen und Grenztruppen. Sperrgebiet. Die Brockenbahn ist stillgelegt worden. Für Schierke brauchst du einen Passierschein. Inzwischen lauter bekannte Sachen. Der Brocken ist der höchste Berg, und die Müritz ist der größte See, und die Oder ist derlängste Fluss, denn die Elbe fließt ja hinter Wittenberge quasi im Ausland weiter nach Hamburg.
    Der Wein perlt ölig ins Glas. Zum Wohl allerseits.
    Eli, du hast Schwein gehabt. Wer macht heute noch eine Abtreibung. Seit man nicht mehr nach Neukölln fahren kann, seit Richter seine Praxis nicht mehr hat. Keiner weiß, wo der jetzt untergekommen ist. Was man so hört, das sind nur Mutmaßungen. Aber das soll wahr sein. Eine schon etwas ältere mit einem Schlagzeuger verheiratete Regiestudentin kennt einen Musiker vom Gewandhausorchester, einen Polen, der hat einen Bruder. Es heißt, der kommt an bestimmten Tagen mit einem Koffer voll Werkzeug aus Wrocław in die Messestadt Leipzig. Der macht es ruckzuck. Im Hochhaus am Ring. In einer Stunde bist du wieder auf dem Bahnhof.
    Eli, du kannst von Glück reden.
    Eli soll sich bei Tetzners Motorrad bedanken und bei den Schlaglöchern auf der Strecke. Die haben dir viel Kummer erspart.
    Eli greift zum Weinglas. Ihre Ohren klingen. Wer denkt an mich? Aus weiter Ferne, aber glasklar eine Stimme, die ihren Namen ruft, in der Nähe hört sie, wie Anke und Sandra auf Ludwig schimpfen.
    Kann der nicht aufpassen. Weiß der schusslige Gockelhahn nicht, was auf dem Spiel steht für dich als Frau und Mensch ohne Abschluss, ohne Examen in Filmgeschichte und Hauptfach.
    Keine Tränen. Im Gegenteil, wenn es um Ludwig geht, spürt Eli ein Kribbeln in den Fingerspitzen. Krallen. Sie sitzt auf dem Sprung. Anke und Sandra sind sich einig.
    Dem würde ich was erzählen. So eine Pfeife. So einer denkt nur an sich. Der denkt keine Sekunde an dich. Das kannst du aber wissen.
    Ihr quatscht einen Mist. Eli will nicht mehr schweigen. Aberauch nicht alles erzählen. Nicht die ganze wunderbar süße Wahrheit, nicht das pure Entsetzen. Es ist ganz anders gewesen.
    Wie denn? Da bin ich aber neugierig. Sandra und Anke sind ganz Ohr, während Eli ihr Glas füllt. Den letzten Tropfen aus der Literflasche.
    Es war wegen der Standuhr im Schloss Gönnernhausen. Die hat ganz plötzlich geschlagen. Gong, und dabei ist es wahrscheinlich passiert.
    Weil die beiden diese Kausalkette nicht kapieren, erklärt Eli, wie und wo eine Standuhr schon einmal in Beziehung zum Akt der Zeugung gestanden hatte. Und zwar in einem Stück Weltliteratur aus England,
Life and Opinions of Tristram Shandy
, gleich am Anfang, gleich im bekenntnishaft schweifenden ersten Kapitel. Wo der Hausherr regelmäßig die Uhr im Korridor zwischen den Schlafzimmern der Ehegatten aufzieht. Eli würde die Stelle gern vorlesen, aber sie kann das Buch jetzt nicht finden. Es hat immer im Regal oben bei den Engländern gelegen. Laurence Sterne.
Tristram Shandy.
    Anke und Sandra japsen vor Lachen.
    Gong, so ein Wort genügt.
    Eli ist erleichtert, als die beiden endlich ihre letzten Sachen zusammenpacken. Bestecktaschen, Sportsack. Brechts
Kleines Organon für das Theater
. Um die Szene in der Tauber-Villa zu verlassen. Um in die Welt hinauszustreben. Ins Armeefilmstudio nach Schwerin, wo nicht gegeizt wird mit Rohfilmmaterial und Spesen.
    Ich wünsche euch alles erdenklich Gute. Schreibt mal oder kommt mal wieder vorbei.
    Das versprechen wir.
    Gong, das Wort genügt.
    Man hört, wie sie auf der Treppe kichern. Über Ludwig und auch über Elis grünen Overall. Anke gibt zu, der grüne Anzugsieht flott aus. Allerdings, Eli muss aufpassen, dass sie nicht von einem Frosch behüpft wird. Gong. Die Gefahr besteht.
    Eli öffnet das Fenster. Die leere bastumflochtene Stierblutflasche saust in die Finsternis. Adios, Compañeros.
    Kein Aufschlag. Kein Schrei. Nicht einmal ein Vogel ist aufgeflogen. Die Flasche hängt in der Pappel, versteckt an einem Ast, da lauert die Keule.
    Milde Luft weht ins frühere Dreibettzimmer, aus dem Eli ein Einbettzimmer gestalten wird. Zwei Betten sollen Sofas werden oder Ablagen für Bücher, für Fotos aus dem Antiquariat am Nauener Tor.

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