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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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Staatsbibliothek, er hockt im Lesesaal, schleppt Kataloge, so stellen sich die Studenten diesen eigensinnig verlobten, egoistisch dienenden Assistenten vor. So denkt sich Eli den rotstoppeligen Lehrer. Er hockt in der Berliner Staatsbibliothek. Aber was sucht er denn da, er weiß doch schon alles.
    Schubert rechtfertigt seinen Ruf. Er ist Stammleser mit Berechtigungsausweis. Uneingeschränkte Ausleihe.
    Schubert eilt quer durch das efeuberankte Geviert des Hofes, er kennt die Gegebenheiten im Inneren des mächtigen Gebäudes, die Umwege im ersten Stock, die Schwingtüren, Quergänge. Schliche. Er kennt den Leiter des alten Systematischen Kataloges. Seine Buchstabenordnung, sein Wissen. Schubert kann sich auf den Leiter des alten Systematischen Kataloges verlassen. Gemeinsam suchen sie, zwei Köpfe gebeugt über ledergebundenen Folianten, sie brüten an einem rettenden Gedanken. Bei Kierkegaard, beim Mann von Toggenburg. Sie suchen zwischen den Zeiten. Und Jenseits. Schubert klettert dieStiege hinauf bis unter die Decke, wo der Buchstabe A steht. Anheimelnd der trockene Staub, tröstlich der Bohnerwachsgeruch. Das blank gewienerte grüne Linoleum der Tische, wo die schweren Katalogbände abgelegt werden. Das Alphabet schafft stufenweise Ordnung und Übersicht, schwarze Tusche, spitze Feder. Saubere Handschriften. Nirgendwo ein Tintenklecks. Es ist tröstlich. Schubert schreibt die Titel, die Autoren und Signaturen auf die Lesesaal- oder Ausleihscheine oder in sein Merkheft. Für den Leiter der Abteilung ist es ein Leichtes, sogar ein Vergnügen, zu helfen. Er irrt sich nie. Er verschwindet, so wie er helfend hervorgekommen war, zwischen braunen Regalen, hinter einer dunkelbraunen Tür. Grau mit schwarzen Ärmelschonern, genauen Vorstellungen und geordneten Gedanken. Schütteres Haar. Hinter den Katalogregalen, dort, im Inneren der Weltenesche, befindet sich seine Höhle: ein Schreibtisch, Bücherstapel, ein markanter schwarzer Telefonapparat, ein zugiges Fenster zu einem gekachelten Lichtschacht. Wasser rinnt, Moos und Wasserfarne besiedeln die Fugen, die kalkigen Streifen, das ist vom Himmel regnender Taubendreck.
    Die öffentliche Kantine befindet sich etwas versteckt im Erdgeschoss rechts neben der Garderobe. An der schmalen Tür hängt jetzt das Pappschild: Kantine offen. Schubert kennt sich aus. Ein freundlich dunkler Schlauch, sehr hoch, sehr verraucht, obwohl eigentlich nicht geraucht werden darf. Dazu riecht es nach Terpentin und nach Kartoffelsuppe mit Sellerie. In der Mitte ein Gang, rechts und links Vierertische. Hinten im Raum gibt es Getränke und, neben der Suppe, Bockwurst und Kuchen. Auf den Tischen Geschirr, Kaffeeringe und Senf, daneben die ausgeliehenen Stapel. Wahre Schätze. Wer gute Augen hat oder eine dicke Brille, brütet über einem aufgeschlagenen Buch. Schubert blättert, er entziffert das Großgedruckte, die Überschriften, seine Hand sucht den Teller, dieStreuselschnecke, wo sie liegt oder gelegen hat, denn er hat den Kuchen schon aufgegessen, den Kaffee getrunken, Gott liebt es, sich zu verstecken, das ist ein Kapitel in
Einige Mutmaßungen über Pascal
. Hochaktuelle Gedanken.
    Eli gönnt sich einmal im Monat eine Fahrt nach Berlin, einen Besuch der Staatsbibliothek. Sie besitzt einen Leserausweis für den Lesesaal und für genehmigungspflichtige Sonderausleihe. Einmal hatte sie Schubert in der Kantine der Staatsbibliothek getroffen. Auch er wollte anschließend noch ins Theater. In den
Aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui.
    Eli wäre gerne mit ihm zusammen durch die Berliner Straßen gelaufen, vielleicht in die Buchhandlung unter der S-Bahn-Brücke, dann langsam zur Weidendammer Brücke, Schiffbauerdamm, vielleicht durch den Hof zur Theaterkantine, wo die Mitarbeiter des Berliner Ensembles Betriebsessen essen. Vielleicht eine Tasse Soljanka mit großer Semmel. Oder noch eine Bockwurst. Sie wäre gerne an seiner Seite gegangen, wenn er gewollt, wenn er auf ihre Begleitung Wert gelegt hätte. Wenn er sich aufgerafft hätte, als sie Signal gab, ich mache mich jetzt auf den Weg. Sie hätte ihren Beutel selbst getragen, denn er hatte ja selbst einen Beutel, voll, schwer, mit geliehenen Büchern. Er genierte sich vielleicht mit seiner Bürde, dem Gepäck, besonders mit ihr, der sächsisch bescholtenen, etwas maulfaulen Studentin Rafaela, ein Klotz, die ganze Zeit immer zu zweit, nebeneinander, was soll man reden, soll man in großen Schritten, im Gleichschritt, wäre es erlaubt, mal ein Stück

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