Sepia
Taktieren. Laokoon hatte den Mund aufgemacht, die Stimme erhoben. Weil niemand ihm glauben wollte, hatte er, als das Holzpferd vor dem Tor stand, eine Lanze gegen die Bretter geworfen, so dass es der Letzte hätte hören können, der Körper war hohl, außerdem konnte man Waffenklirren, sogar griechisches Palaver aus dem Bauch des Pferdes vernehmen. Lasst das sogenannte Geschenk vor der Stadt, haltet das Tor geschlossen. Traut dem Frieden nicht.
Die Götter beobachteten den Querdenker. Sie beobachteten, dass einige Trojaner misstrauisch geworden waren. Laokoon behinderte die Pläne der Götter, er durchschaute ihre List, den Trick mit dem Holzpferd, er schadete, er musste entfernt werden.
Göttin Athene übernahm den Fall.
Laokoon war ein sportlich-zupackender Mann von etwa vierzig Jahren, er lebte zusammen mit einer liebenswürdigen, sinnenfrohen Frau. Das Schicksal hatte das Paar mit zwei Knaben beglückt. Antiphas und Thymbraios, Zwillinge, doch sie unterschieden sich in ihren Kräften, in ihren Interessen und im Wuchs. Einer blieb ein verspielter fröhlicher Knabe, der andere wuchs rasch zum klaräugig-klugen Jüngling heran.
Seit die beiden auf eigenen Beinen gehen können, nimmt der Vater sie zur Verrichtung der Opferzeremonie mit zum Altar.
Der Vater packt die Utensilien in einen Sack. Er ruft die Söhne.
Der Jüngling rollt gehorsam das Maßband ein, er ist mit Eifer dabei, eine Sonnenuhr auszurichten. Der Schattenwinkel soll zum Sirius- und Muttertag genau auf die Haustür fallen. Noch ein paar Tage, dann wird er sehen, ob er richtig gerechnet hat. Wenn sie vom Opfer heimkommen, will er aus weißen Kalksteinen die Teilstriche und Himmelspunkte auslegen.
Der Knabe knüpft aus Palmblättern mancherlei Zeug. Palmblattvögel. Auf dem Weg abwärts in Richtung Küste lässt er die Vögel fliegen. Weit, immer weiter, im Aufwind in die Hügel des Skamandertals. Er rennt hinterher, triumphierend, weil sie immer noch fliegen.
Der starke Sohn führt das Stierkalb, das sie gleich auf dem Altar opfern werden. Laut rauscht das Meer, erregt, die Hüften aufschwingend. Sie reden über das Holzpferd der Griechen. Es ist tückisch, erklärt der Vater. Man darf in der Götter Namen nicht alles glauben.
Ob es einen Unterschied gibt zwischen Wissen und Glauben? Eine Kinderfrage.
Ich glaube an meine Sonnenuhr, sagt der Jüngling ziemlich keck.
Dann müssen sie das Stierkalb fangen. Es hat sich hinterrücks davongemacht, um am Bachufer zu grasen. Mit grüner Speichelzunge leckt es die Hände der Laokoon-Söhne.
Am Altar fließt Blut. Der Knabe kneift die Augen zu. Der Jüngling schaut auf einen Punkt in der Ferne. Der Vater handelt schnell, als Schlächter, als Priester. Alle Notwendigkeiten des Rituals. Die Söhne ministrieren, weil es so sein muss. Dann laufen beide zum Bach. Waschen. Baden.
Die Schlangen sind schon unterwegs, zwei männerarmdicke Biester, von der Göttin Athene aus der Mitte des Meeres zum Ufer gelenkt und weiter zwischen den Steinen zum Bach.
Der Vater legt einen Kranz aus Olivenzweigen um das ausgeblutete Opfertier.
Da hört er einen Schrei. Eine Kinderstimme. Möwen flüchten in Richtung Meer. Die Schlangen haben den Vater gepackt, Beine, Arme und Handgelenke gefesselt. In müheloser Eleganz. Der Jüngling sieht mit Entsetzen den wehrlos eingeknoteten Vater, weit geöffnete Schlangenmäuler und den kleinen Bruder, hingestürzt am Ufer des Baches, die Füße zucken im glitzernd tänzelnden Wasser. Die weißen Kinderaugen blicken zum Wolkenhimmel. Das Meer ist in eine tiefe Stille gefallen. Schwärme lautloser Vögel.
Damit war den Trojanern Bescheid getan. Laokoon, der Priester, hatte die Götter durch seine Kriegsprognosen in Zorn versetzt. Noch anderer Frevel wurde ihm nachgesagt. Als Priester unter einem Dach mit einer Frau, obendrein habe er seine Söhne auf einem Opferaltar gezeugt. Man muss sich das einmal vorstellen. Für Zorn und Strafe gab es Gründe genug.
Troja wurde durch den Beistand der Götter geschlagen. Nur einer rettete sich. Er floh mit Vater, Frau, Söhnchen und Schiffsbesatzung vom Ort des Niedergangs und begründete ein neues Kapitel der Geschichte, das spätere Rom. Der beherzte Äneas.
So bestimmten es die Götter, so waltete das Geschick.
So überliefern es die Dichter. Ein neues Leben fängt an.
Troja versank irgendwo, heutigentags ziemlich entfernt von der lebhaften Küste, unter Schlamm, Schutt und Humusschichten.
Der römische Dichter Vergil erzählt vom
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