Sepia
wäre nicht schlecht gewesen, denn der Alte kann einem eigentlich leidtun, so einer ist nicht zu beneiden. Unklar, ob er, zur Strafe oder weil er gebraucht wird, auf dem Schulposten sitzt. Bei ihm trifft sicherlich beides zu. Jedenfalls hat er was im Kopf, hat viel erlebt und macht sich seine ziemlich eigenen Gedanken. Das spürt man als Chauffeur, und man merkt natürlich auch deutlich, dass so einer nichts zu melden hat. Sitzt auf einem Stillhalteposten. Man nutzt das nicht aus, man macht aber hauptsächlich, was man selber für richtig hält. Man bestimmt.Jedenfalls im Auto. So sind die Verhältnisse. Auf der Strecke bin ich König.
Der Chauffeur studiert die Skizze, die Parsi ihm in die Hand gedrückt hat. Alles in guter Butter, sagt er laut genug, damit auch der Chef ruhig bleibt. Ruhig bleiben, das ist wichtig.
Er parkt direkt vor dem Haus.
Es ist ein ganz normaler Neubaublock. Hier ist unsere Perserin untergekommen.
Der Name Parsi steht auf dem Haustürschild im Erdgeschoss neben Schmidt und Lustig.
Der Dekan sagt keinen Ton. Als hätte er von dem Paket mit dem Teppich gewusst oder als wären solche Umwege, wie viele Dinge, über die sinnlos palavert wird, nicht der Rede wert.
Neuerdings gehen die Studenten sonnabends in den Ratskeller, es sind die Jazzer. Dort ist was los, Play Bach zum Beispiel, Saxophon, Piano und noch mehr, dort kann man sein eigenes Wort nicht verstehen. Also Bier trinken, also Klobürstenwitze: Entschuldigung, kleiner Irrtum, so springt der Igel von besagter Bürste, also Bewegung, die Beine schwingen, vor und zurück, man rutscht auf dem Boden. Man fliegt über eine Schulter, man wird quer um eine Hüfte geworfen. Alle Schritte und Schwünge sind erlaubt, man muss nur immer wieder auf die Füße fallen. Das ist der Sinn. Es ist Rock and Roll. Die Schauspielstudenten lernen Rock and Roll in Bewegung und Fechten. Sie müssen diese dekadenten Sachen beherrschen für die Filme und Theaterstücke, die uns Geschichten aus der anderen Welt erzählen. Frau Rückert gibt wegen großer Nachfrage dienstags, fakultativ, einen Kurs für alle anderen Fachrichtungen, Bewegungstanz, im Unterschied zum klassischen und zum Paar- und Volkstanz. Eli macht mit. Es geht los mit Lockerungen. Wir stehen im Kreis, wir werfen uns rundherum in die Arme, wir lassen uns fallen.
Eli kann das nicht, die lernt das nie, sie stemmt sich jedes Mal dagegen, jedes Mal versucht Eli sogar, die anderen, die locker hinfallen wollen, aufzufangen.
Loslassen, lass endlich los.
Frau Rückert nimmt Eli aus dem Kreis. Während die große Runde auf Kommando umfällt, wird Eli in Einzelübung auf den Boden geworfen, erst mit Beinstrick, dann ohne, dann muss sich Eli barfuß auf eine Luftmatratze stellen. Fallenlassen, Vertrauen, Frau Rückert pfeift. Das machen wir jetzt so lange, bis du auf mein Signal sauber umfällst. Konzentration. Eli fällt und fällt.
Locker umfallen, so kommst du zu einem Gedicht, das hat Ludwig gesagt. Ludwig, der begnadete Spaßvogel zwitschert in Elis Kopf.
In der Bucht von Troja sieht es so aus, als wollten die Kriegsschiffe endlich abziehen: Segel werden gesetzt, Körbe verstaut. Dann heißt es: Kommando zurück. Konfuse Manöver, Scheinmanöver, scheinkonfus.
Das Sinnlose hatte einen Sinn.
Das gezimmerte Monument im Truppengewimmel zwischen den frisch geteerten griechischen Schiffen sollte, wie man hörte, ein Pferd darstellen. Man hörte, das Pferd sei ein Geschenk, ein Friedensgeschenk der Griechen an die Trojaner nach vielen bitteren Kriegsjahren.
Aus Holz gezimmert, braun, mit vier Säulen, so posierte das Präsent tagelang gegen den grünen Morgenhimmel.
Man sah, das Pferd stand auf Rollen.
Laokoon, der durch Losentscheid erhobene Priester im Dienste des Gottes Poseidon, hatte sich aus der Nähe ein Bild von der Sache mit dem Pferd gemacht. Er zweifelte sehr, er meinte, das Geschenk sei eine Kriegslist der Griechen.
Er warnte laut, doch die Trojaner glaubten ihm nicht. Sie glaubten an den Frieden.
Unter Jubel öffneten sie das lange verschlossene und schwer verteidigte Haupttor, darauf rollten sie das Pferd mit eigenen Kräften in die Stadt. Die bewaffneten Griechen, die sich im Bauch des Pferdes versteckt hielten, warteten noch, bis ganz Troja vor Friedensfreude und vom Wein betrunken war, dann fing das Gemetzel an.
Troja wurde besiegt, genau so, wie es die sturen Götter beschlossen hatten.
Unter den Menschen war das Gewissen schon erfunden, aber noch nicht das
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