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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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links, sie erzählt von ihrer Reise, wie sie hier angekommen ist, ohne ein Wort Deutsch zu können, ohne Adresse, nur mit Dollargeld und Blumenteppich. Die Überschrift lautet: Wo das Paradies ist.
    Das Paradies befindet sich unter den Füßen der Mütter.
    Parsi steckt das kleine Notizbuch ein. Es ist eine Last, er stöhnt sogar, er saugt Luft durch die persische Nase. So fremd und heimatlos. Eli hätte gern seine Hand berührt, tröstend, mitfühlend, neidisch, weil sie gern so eine wunderbare Last tragen würde. Wie mag das sein, eine Mutter in Höhe der eigenen Augen, die dazu noch genaue Worte findet, trefflich treffende Donnerworte. Direkt ins Herz. Das Paradies befindet sich unter den Füßen der Mütter. Über dem Kinderbett im Kinderauffangheim drohten weiße, knochig holzgeschnitzte Hände. Zum Fürchten. Während Eli noch die warmen Mamahände im Nacken spürt. Haarschleifen, Zopfflechten.
    Schade, dass Fatme fort ist, das sagen alle im Lesekabinett.
    Frau Felber will sich darum kümmern, sie wird mit dem Chauffeur des Dekans reden, der muss unbedingt den Teppich befördern, der Teppich, Fatmes Blumenteppich, gehört zu Fatme nach Zwickau. Parsi schnürt ein Paket. Es liegt bei Frau Felber im Stalin-Haus, der Chauffeur wird das Paket abholen. Er wird einen Weg finden.
     
    Der Dekan sitzt pünktlich im Auto, denn heute ist Freitag, sein Chauffeur wartet nicht gern. Warten kann der Chauffeur für den Tod nicht leiden. Auch der Dekan liebt das Warten eigentlich nicht, er duldet keine Unpünktlichkeit. Er verbirgt seinen Unmut hinter schläfriger Geduld. Unterdes ist es gleich, es ist ihm einerlei, nicht mehr so wichtig, wo er die Zeit verbringt, wartend, unterwegs oder an einem dritten Ort. Unmut ist ein eitles Trachten. Er würde gern rauchen.
    Das Auto parkt mit offenen Türen vor dem Stalin-Haus, der Motor läuft, es könnte losgehen.
    Ziel Freiberg in Sachsen. Auf gewohntem Wege.
    Endlich taucht der Chauffeur auf.
    Er gibt Eile vor, schmeißt ein paar Bibliotheksbücher auf den Beifahrersitz. Die hat er sich von Frau Felber heraussuchen lassen, Tragisches von nordischen Menschen für drei Nächte im
Hotel Glückauf
. Er schwingt sich ins Auto. Er würde jetzt gerne vor dem Start etwas klären, damit der hinten wartende Chef, den er nach Freiberg zu bringen hat, unterwegs nicht allzu sehr überrascht ist oder gar überrumpelt. Also horch mal her, Kollege, wir müssen heute erst nach Zwickau, ich habe nämlich im Kofferraum ein Paket mit einem Teppich für die Perserin, die hier unten an der Grenze hochgenommen worden ist, die Mutter von einem ausländischen Studenten, bloß damit Sie wissen, wie es heute langgeht und wo. Ich habe es der Kollegin Felber versprochen.
    Der Chauffeur spielt mit der Kupplung, dem Gas, es gelingt ihm nicht, den Mund aufzumachen. Es ist nicht seine Art, viel zu reden. Im Auto wird nicht palavert. Das ist Gesetz, von beiden gemacht, von beiden eingehalten.
    Und so sind sie schweigend auf der Strecke. Der Dekan wie immer eingedeckt mit Papieren und Zeitungen. Russische und das Neue Deutschland. Er kümmert sich nicht um die Gegend draußen, wie weit sie schon sind, ob sie noch geradeaus fahren,ob es schon bergauf geht ins Gebirge, ihm ist einerlei, ob es dunkel wird. Er ist auf alles eingerichtet, Schirm, dunkelblauer Mantel, es gab eine Zeit, da musste er jeden Augenblick auf der Hut sein, jetzt will er nicht mehr auf der Hut sein, jetzt braucht er nur sein Ziel Freiberg, wo er vielleicht hingehört, wo er gerufen wird. Wer ruft? Die Pflicht. Die Gewohnheit.
    Der Chauffeur tritt aufs Gas, gegen die lastende Stille fährt er, weil er etwas zu sagen hätte. Er hebt die Hand. Er macht sich bemerkbar.
    Wenn Sie wollen, von mir aus können Sie rauchen.
    Der Chauffeur weiß, dass der Dekan ein Raucher ist, beinahe ein Kettenraucher. Das Angebot hat der Chauffeur noch auf keiner Fahrt gemacht. In seinem Auto gibt es das nicht, Raucher. Im Rückspiegel sieht er erst das zerknüllte Papier, die verrutschte Lesebrille, die zugeklappten Augen. Dann erleichtert, den zuckenden Mund, die flatternden Lider.
    Das hätte mir noch gefehlt.
    Der Chauffeur fährt etwas langsamer, vorsichtiger, aber gegen die Schlaglöcher auf der Zwickauer Landstraße kann er nichts machen. Im Rückspiegel beobachtet er, wie der Dekan trotz der Schaukelei weiter sein Nickerchen macht, wie er langsam ruhiger atmet und nicht mehr so alt aussieht. So grau und wie Stein.
    Er hätte dem Chef Bescheid sagen müssen, das

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