Sepp und das Millionending
Anhaltspunkte, Beweisstücke, daß dieser Mann der Museumsdieb war!
Der beste Beweis wäre natürlich der gestohlene Dürer! sagte er sich. Ob er ihn noch bei sich hat — falls er ihn überhaupt jemals gehabt hat?
Willem riß den Schrank auf, zog die Schubladen lm Küchenschrank heraus, durchwühlte die beiden Betten, hob die Matratzen hoch, die ziemlich muffig und schimmlig rochen — vergebens. Auch unter dem Bettgestell entdeckte er nichts außer fingerdickem Staub, zusammengeknüllten Papierfetzen, einem alten, hart gewordenen Schuh und einem Putzlumpen, der schon lange nicht mehr benutzt worden war.
Schon wollte der Junge die Hoffnung aufgeben, als sein Blick auf die dunkle Ecke neben der Eingangstür fiel. Dort stand etwas, das er nicht gleich erkennen konnte. Willem nahm die Petroleumlampe vom Tisch, stellte sie neben der Tür auf den groben Bretterboden und drehte den Docht höher, damit die Flamme heller leuchtete.
Was der dicke Willem nun deutlich sah, war ein kleiner, handlicher Koffer — einer von der billigen Sorte aus gepreßter Pappe und dunkelbraun gefärbt, an mehreren Stellen verkratzt, zerbeult und durch Nässe angegriffen. Willem hob ihn ein wenig hoch und stellte am Gewicht fest, daß er gefüllt war. Er kniete nieder, legte den Koffer flach auf den Boden und ließ mit einem Klicken die Verschlußriegel hochschnellen. Als er den Kofferdeckel zurückschlug, sah er, daß der Koffer bis zum Rand vollgepackt war mit schmutziger Unterwäsche, verschmierten Hemden, einem Anzug, einem Paar Schuhe, zusammengeknüllten Socken, zwei Krawatten und mehreren Taschentüchern.
„Verflixt und zugenäht!“ zischte der dicke Willem vor sich hin, als er den Koffer durchwühlte. Das sieht ja aus, als wolle sich der Kerl aus dem Staube machen. Weggegangen ist er ja schon, aber ohne Koffer. Ob er ihn vergessen hat? Nein, das glaube ich nicht. Er hat ja auch das Licht brennen lassen. Er kommt bestimmt noch mal wieder. Die Frage ist nur: wann? Auf alle Fälle darf ich nicht zu lange hier drin bleiben, sonst erwischt er mich vielleicht noch...
Willem hoffte, zwischen den Kleidungsstücken das Bild zu finden, aber statt dessen fiel ihm etwas anderes in die Hände: eine dunkle, dickrandige Hornbrille!
Überrascht pfiff er durch die Zähne. Die sieht genauso aus wie die Brille, die der Mann im Museum getragen hat!
Sie steckte in einer grünen Lederhülle, die wiederum in ein Oberhemd eingewickelt gewesen war.
Kein Wunder, daß Willem jetzt noch fieberhafter nach dem gestohlenen Dürer-Blatt suchte — doch vergebens. Er griff sogar in die Taschen des Anzugs und hielt plötzlich ein Büschel Haare in der Hand.
Donnerwetter! Das sieht ja aus wie eine Perücke — oder vielmehr wie ein Stück davon! Zitternd hielt der Junge diesen Fund gegen das Licht der Petroleumlampe, als sich mit einem Schlag sein Herz zusammenkrampfte: Er hörte, wie jemand von draußen einen Schlüssel in das Schloß der Hüttentür steckte, und dieser Jemand, das war Willem klar, konnte niemand anders als der Mann sein, der vorhin weggegangen war und den Schlüssel mitgenommen hatte! Auf dem weichen Waldboden und beim Donnern und Regengeprassel hatte der Junge die nahenden Schritte nicht wahrgenommen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde kniete der dicke Willem wie gelähmt neben dem Koffer. Dann hatte er sich wieder fest in der Gewalt. Alle seine Spuren konnte er nicht mehr verwischen. Dazu war es zu spät. Er hätte den Koffer schließen, die Petroleumlampe auf den Tisch zurückstellen und nach dem Verlassen der Hütte Fenster und Läden von außen verschließen müssen.
Aber es reichte nur noch dazu, das Haarteil und die Brille an ihren ursprünglichen Platz zu verstauen, als der Mann auch schon von draußen die Klinke hinunterdrückte und sich — da die Tür klemmte — mit der Schulter dagegenwarf. Heulend brach ein Windstoß in die Hütte und krümmte das Flämmchen der Petroleumlampe. Es flackerte wild und ungestüm und versuchte verzweifelt, sich zu behaupten.
Ganz schön in der Klemme
Wie die Murmeltiere hatten Sepp, Männe und Flöhchen geschlafen, als der dicke Willem aus dem Zelt geschlichen war.
Seitdem mochte etwa eine halbe Stunde vergangen sein. Da begann Sepp, sich unruhig im Schlaf hin und her zu wälzen. Er träumte, die Ahr sei durch die starken Regenfälle zu einem reißenden Strom angeschwollen und über die Ufer getreten. Ungehemmt und ungebärdig überfluteten die Wassermassen das Land und krochen stetig
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