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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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Paradiesvögel die auf Schnellbooten rasend den Übergang in ihre versprochene bessere Heimat suchten durch das brennende schwarze Meer der Krieg drohte den gesamten Golf zu entzünden das fette Ölfass auf dem wir uns mit den Persern mordeten und schließlich kamen zu den Panzern aus Russland den Flugzeugen aus Frankreich dem Geld der Saudis den Kalaschnikows aus Ägypten den Satellitenkarten der CIA auch noch
    die großen internationalen Flotten hinzu die unsere Küste und den PRÄSIDENTEN und seinen ÖLigen Ausfluss beschützten
    Jasmin zog deinen Kinderwagen Muna über das blanke Marmorglacis der mächtigen gespaltenen blauen Zwiebel die an den Hohlkopf des Märtyrermachers erinnerte und
    die vier Hände an den vier Unterarmen des PRÄSIDENTEN wie der Scharia gemäß abgehackt für den Diebstahl des Lebens von einer Million Menschen wurden an den Enden der Paradestraße paarweise montiert und kreuzten ihre Säbel zu Triumphbögen hoch über der Mitte
    unseres Lebens
    ich ließ die Arme sinken Muna so etwa kann ich es beschreiben schon vor dem Ende des Kriegs ging ich mit hängenden Armen durchs Leben durch den Tod auch wenn ich verband pflasterte nähte arbeitete bis ich im Stehen hätte schlafen können brauchte ich die Arme gar nicht zu bewegen es war (und ist) eine Art von Befreiung und Leichtigkeit darin der PRÄSIDENT riss die Säbel empor und feierte seinen Sieg über das Leben seiner Untertanen mit
    Gas
    über Halabja zehn Jahre später erst (in Paris) las ich Genaueres über die an einem Tag ermordeten 5000 Kurden so viele
    Nachrichten
    die den Weg nicht mehr fanden nach Bagdad in unser
    schäbigeres ärmlicheres Leben in dem ich die immer schäbigeren ärmlicheren Patienten verarztete wehrlos
    heilend so gut ich es eben verstand
     
    Watan (Heimat)
     
    Bohre ins Herz dir das Eis
    Glühender Tage, du siehst:
    Niemand von außen begreift,
    Dass ihr Schmerzen noch fühlt.
     
    Hitze ist Kälte und weiß
    Schwärzeste Nacht noch, es schließt
    Eng sich um alles der Kreis
    Lauf! Doch du bleibst, wenn du fliehst.

 
    Sabrina
     
    Eric
    wird in fünf Minuten kommen mein Rucksack steht schon im Flur er ist leicht die fehlenden Studienbücher scheinen ihn anzuheben es sind fast nur T-Shirts und Badesachen und Amandas blauer Pullover
    wenn Eric pünktlich kommt bleibt uns
    eine halbe Stunde wenn
    ich darauf bestehe den 12-Uhr-Zug zu nehmen was ich nicht müsste und doch will oder nicht wenn ich vor den großen Spiegel im Bad trete sehe ich nur ein schmales vielleicht ganz hübsches gerade Frau gewordenes Mädchen das mir unscheinbar und streng (mein zurückgebundenes Haar) vorkommt ich sitze und träume mit den Ellbogen auf den Knien mit den noch nicht über die Mitte der Oberschenkel gezogenen Jeans starre ich dann auf meinen roten Slip als trüge ihn eine andere die schmalen Streifen wie Flügel über meiner Haut meinen Leisten ein
    Feuer-
    Vogel mit gebogenem weichen gespaltenen
    Schnabel
    ich blute nur noch schwach also
    muss ich mich fragen weshalb ich Eric gestern Abend nicht eingeladen habe nachdem Seymour nach Manhattan gefahren ist es wäre das erste Mal gewesen dass ich einen Jungen in diesem Haus bei mir hätte übernachten lassen und das erste Mal mit Eric aber es hätte wohl nicht funktioniert (oder nur: funktioniert) im
    Haus meiner Mutter
    durch dessen Vorgarten zur Düne hin um drei Uhr morgens der Liebhaber stolpert (Lesley angetrunken und ausgetrunken) ich kann nicht
    nur einfach nicht tun was
    sie tut
    sagt Eric und hat recht aber das hier (das blendend helle Bad die weiße Treppe das Wohnzimmer mit der hohen Fensterfront mein geräumiger Himmelskerker mein Seeräuberinnen-Nest mit Meeresblick) ist meine Verbannungslandschaft mein Pubertäts-Exil der
    hölzerne Palast in den mich der Dschinn verschleppt hat damit ich zwei Jahre lang Gedichte in den Dünensand schreiben konnte und jeden Tag tausend weiße Gedankenstriche auf die salzige blaue Folie des Atlantik
    weine rede flüstere
    in der Küche bei Mrs Donally das Schachbrettmuster des Fußbodens die Wärme das von Halogenlämpchen erzeugte stets gleichmäßig strahlende Atelier- oder Filmstudiolicht des Erdgeschossraums in dem ich morgens allein mit der Haushälterin frühstückte und lange Nachmittage und Abende saß
    getröstet immer
    ruhiger werdend von Monat zu Monat
    weil ich mich aussprechen oder auch schweigen konnte endlich kochen lernte und Iris (Mrs Donally) so viel zu erzählen wusste
    sie ist wirklich interessant nicht wahr

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