Septemberblut
Takt.
»Der Meister hat dir im Grunde schon verziehen, aber du musst verstehen, dass du ihn enttäuscht hast. In ein paar Jahren wäre alles vergeben und vergessen.«
»Warum sagst du mir das?«
»Du solltest es wissen, für den Fall, dass du …«
»Dass ich sterbe?«
»Ja.«
Kapitel47
Wir erreichten Downtown erschreckend schnell. Abgerissene Plakate flatterten umher, Graffiti, wohin man sah, verwahrloste Gestalten drückten sich in den Schatten herum. Fast erwartete ich brennende Tonnen zu sehen, doch dafür war es viel zu warm.
Meine Schultern verkrampften sich, als wir in die enge Schlucht zwischen zwei Warenhäusern einbogen. Ich konnte Gordon bereits fühlen. Seine Kraft flutete ungebremst durch die nächtliche Welt, und er machte keinen Hehl daraus, dass er sich freute.
Sein Plan ging auf. Ich kam zu ihm, und er würde seine lang ersehnte Rache bekommen.
Die Scheinwerferkegel zweier Autos erleuchteten den weiten Parkplatz wie eine antike Arena. Vier Männer standen davor. Das Licht in ihrem Rücken ließ sie wie Scherenschnitte erscheinen.
Unter den Rädern unseres Wagens spritzte der Schotter.
Ichhatte nur noch Augen für den Schlankesten der Männer.
Ein Strahlenkranz aus goldenen Haaren umrahmte sein Gesicht. Gordons Schönheit war legendär, und doch überraschte sie mich immer wieder.
Wie ein Gemälde, das man lange nicht gesehen hat. Und genauso sah er aus, wie das Porträt eines Engels. Der Künstler hatte die Schönheit perfekt eingefangen und doch das Wichtigste vergessen: der Figur Leben einzuhauchen.
Wir hielten in zehn Metern Abstand. Robert stellte den Motor ab und fasste mich am Arm. Seine Augen hatten sich verändert, es waren die von Curtis.
Ich senkte den Blick, denn plötzlich war mein Mut geschwunden.
»Geh nicht, Junge!«
»Ich muss.«
»Warum, Julius?«
»Für Marie, für mich, für Amber.«
Robert, in dessen Körper Curtis geschlüpft war, nickte langsam. »Ich hätte deinen Treuebruch nie vor dem Rat in Paris anklagen dürfen. Es war ein Fehler, Julius, aber es ist einhundertfünfzig Jahre her!«
»Nicht für mich, Curtis! Und jetzt lass mich gehen.«
Er löste den Griff von meinem Unterarm, und dann war Robert wieder Robert.
Ich straffte meine Schultern und stieg aus.
Gordons Energie riss mich beinahe von den Beinen.
Ich ließ mich nicht provozieren, sondern schirmte mich ab, versuchte nicht zu zeigen, welchen Eindruck seine kleine Demonstration bei mir hinterlassen hatte. »Spar dir deine Kraft für später, Gordon!«
Er lachte sein Engelslachen, und es rauschte wie ein warmer Wind über meine Haut.
»Ichbin hier, Gordon, wo ist meine Dienerin?«, rief ich und trat mit ausgebreiteten Armen nach vorn. Die Blicke der Vampire richteten sich augenblicklich auf die Pistolen, die im Gürtel meiner Hose steckten.
Was hatten sie erwartet? Dass ich unbewaffnet kam?
Gordons Diener Nate öffnete die Hintertür eines Wagens und zog Amber heraus.
Mein Herz tat einen Satz. Sie war wach, doch warum konnte ich sie nicht spüren? Was hatte Gordon ihr angetan? Ambers Schritte waren schwer und unbeholfen. War sie immer noch betäubt?
Der Diener hielt meine Geliebte wie einen menschlichen Schild vor sich. Er wusste, dass er damit auch seinen Herrn schützte. Solange Meister oder Diener unverletzt waren, starb keiner von beiden, zumindest nicht durch einen Schuss.
»Amber!«
Ihr leerer Blick streifte mich, dann starrte sie wieder in Gordons Engelsgesicht. Es war, als kenne sie mich nicht mehr. Etwas stimmte da nicht.
»Wenn du sie haben willst, Lawhead, dann wirf deine Waffen fort.«
Ohne zu zögern ließ ich die Pistolen zu Boden fallen und löste das Schwert von meinem Gürtel.
»Deine Henkerswaffe nicht, die behalte ich als Souvenir.«
Tristan, der grauhaarige Vampir an Gordons Seite, trat auf mich zu, nahm das Schwert aus meiner Hand und tastete mich nachlässig nach Waffen ab.
Er fand keines der Messer, aber meine letzte auffällig platzierte Pistole. Meine Aussichten wurden besser. Ich hatte ohnehin nicht erwartet, dass ich eine Schusswaffe einschmuggeln konnte, aber fünf Messer waren mehr, als ich mir in meinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte.
»Bringen wir es hinter uns«, sagte Robert. Er sah an mir vorbei,wollte nicht, dass sein Blick Geheimnisse verriet. Er wusste, dass ich noch immer bis an die Zähne bewaffnet war.
»Du willst dein Leben wirklich gegen das deiner Dienerin tauschen?«, fragte Gordon.
»Ja«, entgegnete ich und war stolz, dass
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