Septemberblut
setzte sich mit der flachen Kiste auf das Bett. Eine Weile glitten ihre Finger unschlüssig über das glattpolierte Holz, dann fand sie genug Mut und drückte auf die kleinen Hebel auf der Vorderseite. Zwei schlichte Metallverschlüsse schnappten geräuschvoll auf und der Deckel hob sich ein wenig. Amber stieß ihn mit spitzen Fingern zurück und riss die Augen auf.
»Oh mein Gott, Frederik!«, entfuhr es ihr.
Eingebettet in roten Samt lag eine moderne Armbrust, daneben Dutzende Pfeile. In einem gesonderten Fach stieß sie auf Pflöcke, so spitz und kunstvoll gearbeitet, dass sie eher hölzernen Dolchen mit dreieckigem Querschnitt glichen.
Das Messer war augenscheinlich nicht die einzige Waffe, die Frederik sein Eigen nannte. Er hatte sein komplettes Leben auf die Jagd nach Vampiren ausgerichtet, als hätte er es gernegetan. Diese Erkenntnis tat mehr weh als alles andere, und sie veränderte etwas in ihr.
Amber schloss eilig den Deckel, verstaute die Kiste in ihrem Rucksack und warf ihn auf das Bett. Plötzlich war sie schrecklich wütend.
Wütend auf ihren Bruder, der nicht nur sein, sondern auch ihr altes Leben beendet hatte, und wütend auf Julius, der ihre Gefühle völlig auf den Kopf stellte, und auf sich selbst, weil sie so verdammt hilflos war!
Warum hatte sie Frederik in der Vergangenheit nicht wenigstens ein einziges Mal zugehört! Dann wüsste sie jetzt womöglich, warum er sterben musste und warum er ihr, und nicht irgendjemand anderem, das Messer vererbt hatte. Er war schuld daran, dass sie plötzlich von Vampiren zum Essen ausgeführt wurde, während andere Untote ihr nach dem Leben trachteten. Ob Julius das nicht auch tat, würde sie bald herausfinden dürfen.
Mittlerweile war ihr klar, dass sie ihm und dem, was das Schicksal für sie vorgesehen hatte, nicht so einfach davonlaufen konnte. Julius nicht und auch nicht dem Messer.
Sie brauchte dringend Antworten, und der Vampir kannte sie, davon war Amber überzeugt. Warum sonst war er bei Frederiks Beerdigung gewesen, warum sonst hatte er ihre Nähe gesucht? Julius musste wissen, was es mit all dem auf sich hatte!
Amber ballte wütend die Fäuste. Während sie vor sich hin grübelte, verschlief Julius den Tag auf dem Friedhof in seinem Sarg.
In seinem Sarg!
Am Vorabend war alles zu neu gewesen. Julius war ihr ausgewichen, doch diesmal würde es genug Zeit für alle Fragen geben, und sie würde das Messer mitnehmen.
So oder so, sie würde sich ihre Antworten holen!
Kapitel11
Feuer.
Jede Faser meines Körpers brannte.
Ich träumte von dem Messer, litt Höllenqualen und war gefangen in einem Alptraum, der so lange währte, wie die Sonne am Himmel stand.
Als die Schatten länger wurden und ich endlich, endlich erwachte, fühlte ich mich schwächer als am Morgen zuvor.
Mit dem Untergang der Sonne kroch der Tod aus meinem Körper und nahm die Lähmung mit, die ihn befallen hatte. Ängstlich erwartete ich wie jeden Abend den schmerzhaften ersten Herzschlag. Er kam und ging wie ein Erdbeben, dann konnte ich mich wieder bewegen.
Meine ganze Kraft war nötig, um den Marmordeckel meines steinernen Sargs zur Seite zu schieben.
Es war stockfinster, doch sobald ich mich aufsetzte, wusste ich, dass sie da war. Amber.
Sie war irgendwo da oben, sie und das Messer, und sie war voller Zorn. Das war kein guter Anfang. Amber war fast zwei Stunden zu früh.
Ich starrte in die weiche, tröstende Dunkelheit und wäre am liebsten liegen geblieben, doch der Durst würde mich früher oder später an die Oberfläche treiben, direkt in ihre Arme. Ich tastete nach den Streichhölzern und der Kerze auf dem Tischchen neben dem Sarg.
Schwefelgeruch kitzelte meine Nase, und bald tauchten zuckende Flammen die Kammer in freundliches Zwielicht.
Ich wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser, das aus einem porösen Kupferrohr in ein altes Weihwasserbecken in der Ecke tropfte. Das Behältnis gab der Flüssigkeit keine besondere Kraft, und selbst wenn es richtiges Weihwasser gewesenwäre, hätte mich mein eigener Unglaube vor unangenehmen Konsequenzen geschützt.
Amber ging dort oben unruhig auf und ab. Ich konnte sie fühlen. Ohne das Siegel hätte ich sie wie jeden anderen Menschen als warmen Schatten gespürt, aber unsere neue Bindung gab mir Gewissheit.
Zum Glück wusste sie nicht genau, wo ich schlief.
Ich ließ mir Zeit. Sollte sie sich erst einmal beruhigen.
Sorgfältig wählte ich meine Garderobe aus. Ich wollte ihr gefallen. Schwarze Hose, weißes Hemd, Sakko,
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