Septemberblut
Ambers Schultern entkrampften sich. Sie seufzte erleichtert.
Ich wusste, dass ich es so weit treiben konnte, dass sie sich mir lusttrunken hingab, gleich hier und jetzt auf dem Friedhof. Doch nichts lag mir ferner als das. Wie ein Sog verschluckte mein Körper den Energiefluss und Amber schwankte vorwärts, als fehlte ihr plötzlich eine Stütze.
»Ich habe den ganzen Tag an nichts anderes denken können als an dich«, gestand sie.
Ich streifte mit meinen Fingern über den zarten Rücken ihrer Hand.
Sie zuckte zurück und sah dann zu mir auf. »Nicht … Vielleicht später.«
Ich schob meine Hände in die Hosentaschen und ließ meinen Blick schweifen, um sie nicht anzustarren und den Hunger noch weiter zu steigern. Mein Körper verlangte nach Blut, um sich zu heilen, dringend.
»Was nun?«, fragte Amber.
»Vielleicht ist es besser, wenn wir uns in zwei Stunden woanders treffen, dann können wir über alles reden«, antwortete ich ausweichend.
»Warum nicht jetzt?«
»Weil …« Konnte ich es wirklich sagen? »Weil ich noch nicht getrunken habe, deshalb.«
Ambers Blick grub sich in meinen. »Und?«
»Und ich habe Hunger.«
Ambersah sich um, als läge die Antwort irgendwo zwischen Rosen und Palmen verborgen oder tief in einem der Mausoleen. Unsicher, flatterhaft, tastete ihre Hand nach dem Messer.
Nicht!, wollte ich schreien.
Ihr Blick bekam etwas Traumwandlerisches. Es war fast schon zu spät.
»Amber!«
»Ja, ich …« Worte wie aus weiter Ferne.
»Du kontrollierst das Messer und nicht umgekehrt.«
Sie straffte ihren Rücken und atmete tief ein. Die Aura des Messers verschwand, und Amber legte ihre warme, lebendige Hand in die meine.
Mein kleiner Finger glitt wie von selbst auf die weiche Unterseite ihres Handgelenks und fühlte den aufregenden Rhythmus des Blutes durch ihre Adern rauschen. »Du brauchst mich nicht zu fürchten. Ich habe versprochen, dir nichts zu tun.«
»Es ist nur … deine Augen, sie sahen gerade so merkwürdig aus.«
Ich verfluchte meinen Raubtierblick. »Das macht der Hunger, die Augen sind sein Fenster in die Welt. Es tut mir leid, wenn sie dir Angst gemacht haben. Sie bedeuten nichts. Der Durst ist kontrollierbar, wie du das Messer kontrollierst. Alles okay?«
»Ja, ist wieder gut.«
»Dann komm mit da hinüber.« Ich führte sie zu meinem Lieblingsplatz, einer kleinen Marmorbank direkt am Seerosenteich. Sie stand unter einem fast hundert Jahre alten Wacholderbaum. Die dichten, dunklen Zweige verströmten wohlige Düfte, und mehr als einmal hatte ich hier ein kleines Käuzchen beobachtet, dessen klagender Ruf so perfekt meine Einsamkeit spiegelte.
DieBank war schmal und kurz und so kam es, dass sich unsere Körper berührten. Ich hoffte, dass mein erst vor kurzem erwachter Leib nicht zu kalt war. Bewusst nutzte ich all meine Energie, um meinen Körper lebendiger und wärmer zu machen. Mein Herz schlug schnell und ich atmete tief und gleichmäßig.
Amber starrte auf den Teich. Sie beobachtete die riesigen Kois, die als träge, farbige Schatten durch das Wasser glitten.
Der Duft ihrer Haut erregte mich wider Willen und weckte erneut den Hunger. Ich verschloss meine Gier in einem Käfig, undurchdringlich wie eine Kammer aus Blei, und zwang mich, nicht auf die zarte Ader zu schauen, die an ihrer blassen Schläfe schlug.
Wenn wir uns besser gekannt hätten, hätte ich sie gebeten, meinen Finger auf eine der kostbaren Stellen legen zu dürfen, unter denen eine große Ader verlief.
Amber hielt noch immer meine Hand. Gedankenverloren ließ sie ihren Daumen in meiner Handfläche kreisen.
»Woher hatte mein Bruder das Messer?«, fragte sie schließlich.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich ehrlich. »Vor fast vier Jahren wurde es zum ersten Mal hier in der Stadt benutzt, und es war von Anfang an im Besitz Frederik Connans.«
Amber setzte zu einer weiteren Frage an, dann stockte sie und sah mich an.
»Was geschieht jetzt? Hast du vor, mir das Messer wegzunehmen?«
»Das entscheidet mein Meister. Er weiß, dass ich dich und die Waffe gefunden habe.«
»Da ist es schon wieder. Meister!«, sagte Amber. Aus ihrem Mund klang es fast wie eine Anklage. »Entscheidest du auch manchmal für dich selbst?«
»Natürlich!«
»Undwenn dir dieser Meister zum Beispiel verbieten würde, mich zu treffen?«
»Das würde er nicht, das ist meine Privatsache.«
»Aber wenn?«
»Ich würde ihn bitten, es noch einmal zu überdenken.«
»Julius!« Sie sah mich ernst an. »Könnte
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